Justiz in der Krise: Sind Online-Verhandlungen die Lösung?

Veröffentlicht am in Legal Tech

Während der Coronakrise vermeiden die Gerichte mündliche Verhandlungen und viele Urteile werden aufgeschoben. Die Justizminister der Länder fordern, dass die Gerichte ihren Dienst weitgehend einstellen. Und auch der Deutsche Richterbund findet es richtig, den Zugang zu den Gerichten auf das absolut notwendige Minimum herunterzufahren, um die Gesundheit aller Beteiligten zu schützen. Aber der Rechtsstaat kann nicht einfach pausieren. Wie kann die Justiz jetzt weiter funktionieren, ohne die Gesundheit der Beteiligten aufs Spiel zu setzen?

Anwaltverein für Verhandlungen per Video

Die Justiz müsse jetzt einfache technische Möglichkeiten schaffen, um die Justizgewährung auch in den nächsten Monaten sicherzustellen, fordert Uwe Freyschmidt, Vorsitzender des Berliner Anwaltvereins. „Die Zivilprozessordnung erlaubt es, Verhandlungen ohne körperliche Präsenz der Parteien durch allgemein übliche Ton- und Bildübertragungen durchzuführen“, so Freyschmidt weiter.

Die unübersichtlichen Regelungen an den verschiedenen Gerichten bereiten nämlich auch Rechtssuchenden und Anwälten Probleme: Sie müssen für jedes einzelne Verfahren klären, wie es weitergeht. Videoübertragungen könnten die persönliche Anwesenheit in Gerichtsverhandlungen ersetzen und viele Zivilverfahren mit Zustimmung der Parteien auch ohne mündliche Verhandlung abgeschlossen werden. Aber was bedeutet das für den Grundsatz der Öffentlichkeit von Verfahren?

Verhandlungen mit Einschränkungen öffentlich

Zurzeit werden Verfahren noch öffentlich durchführt – allerdings mit strikten Zugangsbeschränkungen. Anwälte, Prozessbeteiligte und Besucher müssen an vielen Gerichten am Eingang Fragebögen ausfüllen. Wer Erkältungssymptome hat, darf die Gerichtsgebäude nicht betreten. Die Richter sollen darauf achten, dass alle Anwesenden den empfohlenen Mindestabstand einhalten. Journalisten könnten sich zusammenzutun und immer nur einen oder wenige Medienvertreter in die Hauptverhandlungen entsenden, um eine Ansteckung auf den Presseplätzen zu vermeiden.

Aber es werden auch andere Möglichkeiten diskutiert: Das Expertenforum Arbeitsrecht (EFAR) hat berichtet, dass nach einem unveröffentlichten Referentenentwurf eine Reform der Arbeitsgerichtsbarkeit geplant ist: Präsenzverhandlungen könnten durch „Online-Courts“ ersetzt werden, also Gerichtsverhandlungen ohne physischen Gerichtssaal, die nicht öffentlich geführt werden. Auch ein Eckpunktepapier aus dem Bundesarbeitsgericht schlägt so ein Vorgehen vor. Beide Dokumente haben laut dem Rechtsportal Legal Tribune Online (LTO) als Vorschlag das BMAS und auch das BMJV erreicht und könnten dort auch für andere Gerichtsbarkeiten diskutiert werden.

Der sogenannte Referentenentwurf sieht vor, in den bisherigen § 46 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) einen dritten Absatz einzufügen. Demnach könne das Gericht „unbeschadet des § 128a ZPO zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen anordnen, dass die mündliche Verhandlung ausschließlich im Wege der zeitgleichen Übertragung in Bild und Ton in unterschiedlichen Räumlichkeiten, auch außerhalb des Sitzungszimmers, stattfindet, sofern die Prozessbeteiligten die technischen Voraussetzungen hierfür in zumutbarer Weise schaffen können.“

Sind Online-Verhandlungen die Lösung?

Schon jetzt sieht § 128a ZPO vor, dass Verhandlungen per Videokonferenz geführt werden können. Die Richter sind dabei allerdings im Sitzungssaal anwesend und die Öffentlichkeit hat Zugang. Andere Beteiligte werden für alle sichtbar zugeschaltet. Das ist aber noch kein übliches Vorgehen und es fehlt oft an der entsprechenden Ausstattung.

Der aktuelle Vorschlag geht aber viel weiter: Er plädiert für eine digitale Version einer mündlichen Verhandlung, ohne physischen Gerichtssaal und ohne Publikum. Das bedeutet einen tiefgreifenden Einschnitt in den Öffentlichkeitsgrundsatz des § 169 Gerichtsverfassungsgericht (GVG). Die Justizministerien und die Gerichte haben angesichts des Notbetriebs in der Coronakrise betont, dass dieser Grundsatz weiterhin gilt. Findet eine Verhandlung statt, muss grundsätzlich auch der Öffentlichkeit Zugang gewährt werden.

Der Rechtsstaat funktioniert auch in der Krise

Bei den Arbeitsgerichten ist laut dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ein Notbetrieb sichergestellt. Es gebe „viele Möglichkeiten, um mit der gegenwärtigen Situation sachgerecht umzugehen. Ob Anpassungen des Arbeitsgerichtsgesetzes in Anbetracht der Corona-Krise erforderlich sind, wird derzeit innerhalb der Bundesregierung geprüft.“ Das müsste kein so weitreichender Vorschlag wie Online-Verhandlungen sein – auch schriftliche Verfahren wären denkbar.

Die Justizministerien der Länder betonen jedenfalls, dass alles Wichtige erledigt wird. Laut einem Sprecher der Berliner Justizbehörde ist die Bearbeitung von Haftsachen, schweren Gewaltdelikten und Staatsschutzdelikten uneingeschränkt gewährleistet. Der Zugang zum Recht solle und dürfe nicht verhindert werden, heißt es aus dem niedersächsischen Justizministerium. Werde ein Täter auf frischer Tat ertappt, dann könne er auch weiterhin dem Haftrichter vorgeführt werden, sagt Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf. Der Rechtsstaat funktioniert also auch in der Krise.

Online-Verfahren denkbar – aber nicht bei Strafprozessen

Weil es in Hamburg zu einem Verfahrensstau gekommen ist, hat sich inzwischen auch Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne) im Gespräch mit dem NDR Fernsehen für mehr Online-Verfahren ausgesprochen. Steffen sieht viele Möglichkeiten, Zivilverfahren online zu verhandeln; bei Strafverfahren ist er allerdings skeptisch. Richter und Angeklagte müssten einander ins Auge sehen, um die Glaubwürdigkeit der Beschuldigten einschätzen zu können.

Auch der Richterbund fordert eine deutliche Ausweitung der Gerichtsverfahren per Internet. „Bund und Länder sollten die Coronakrise zum Anlass für einen Digitalisierungsschub in der Justiz nehmen“, findet Richterbund-Geschäftsführer Sven Rebehn. Die gesetzlichen Regelungen für Videoübertragungen in Zivilprozessen führten bisher eher ein Nischendasein, auch weil es in vielen Gerichtssälen an der erforderlichen Technik fehle. Ein flächendeckendes Ausweichen auf Online-Verhandlungen wäre daher kurzfristig kaum umsetzbar.

Die Klagen im Abgasskandal gehen weiter

Ob mit Schutzmaßnahmen im Gerichtssaal oder online – die Justiz arbeitet auch in Coronazeiten weiter. Deshalb lohnt es sich immer, für sein Recht zu kämpfen. Die Verbraucherrechtskanzlei VON RUEDEN ist jederzeit gern für Sie da, zum Beispiel, wenn Sie vom Abgasskandal betroffen sind. Wir beraten und vertreten Dieselfahrer bundesweit erfolgreich gegen die Autohersteller. Informieren Sie sich in einem kostenfreien Erstgespräch unter 030 / 200 590 770 oder kontaktieren Sie uns per E-Mail an info@rueden.de.