Nach Protesten: Immunitätsausweis auf Eis gelegt

Veröffentlicht am in Verbraucherrecht

Zum Wohl der Allgemeinheit werden unsere Freiheiten zurzeit so stark eingeschränkt, wie noch nie in einer Demokratie. Doch wer eine Covid-19-Infektion überstanden hat, ist wahrscheinlich immun – zumindest für einige Zeit. Trotzdem müssen sich auch Genesene an die Abstandsregeln halten. Ist das angemessen oder brauchen wir für diese Bevölkerungsgruppe einen Immunitätsausweis? Gesundheitsminister Spahn sieht im Immunitätsausweis eine Chance im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Kritiker befürchten jedoch eine Spaltung der Gesellschaft.

Im zweiten Corona-Gesetzespaket hat das Kabinett unter anderem die Voraussetzungen für einen Immunitätsausweis geschaffen, in dem wie beim Impfpass der Immunitätsstatus erfasst werden könnte. Falls eine Immunität aufgebaut würde, ließen sich daraus weitreichende Schlüsse für den weiteren Umgang mit Schutzmaßnahmen und Personengruppen ziehen, die einen besonderen Schutz benötigen, heißt es im Gesetzesentwurf.

Unbeschwerter bestimmten Tätigkeiten nachgehen

Wer immun und damit weder gefährdet noch für andere gefährlich ist, könnte unbeschwerter bestimmten Tätigkeiten nachgehen – zum Beispiel im Gesundheitswesen. Bei dem Gesetz handelt es sich laut Spahn um eine „vorsorgliche Regelung“, weil es den wissenschaftlichen Beweis, dass sich Menschen nach einer Corona-Erkrankung nicht wieder anstecken können, noch nicht gebe.

Zwar ist noch nicht abschließend geklärt, ob geheilte Covid-19-Patient immun sind und andere nicht mehr anstecken können, doch Virologen gehen davon aus, dass es eine Immunität gibt. Direkt nach der Infektion könne sich der Patient laut dem Virologen Christian Drosten von der Berliner Charité nicht noch einmal infizieren: „Ich gehe im Moment davon aus, dass jemand, der die Krankheit gerade überstanden hat, auf eine gewisse Weise als immun zu betrachten ist“, so Drosten. Bei anderen Coronaviren sind Genesene bis zu drei Jahre immun, daher ist eine lebenslange Immunität auch beim neuen Coronavirus unwahrscheinlich.

Warum Kontaktverbote für Gesunde?

Von den zurzeit rund 165.000 an Covid-19 Erkrankten in Deutschland sind mehr als 130.000 wieder gesund. Trotzdem gilt auch für sie, dass sie nur mit Mundschutz öffentliche Verkehrsmittel nutzen und einkaufen dürfen. Geheilte dürfen auch weiterhin keine Freunde und Verwandten besuchen. Sind die Eingriffe des Staats in die Grundrechte von Genesenen nicht unverhältnismäßig? Warum sollte sich jemand, der immun ist, an Kontaktverbote und andere Einschränkungen halten müssen?

Die Maßnahmen des Staats müssen geeignet sein, das verfolgte Ziel zu erreichen. Wer andere nicht anstecken kann, müsste demnach auch nicht kein Kontaktverbot einhalten. Andererseits entstünde dann eine Zweiklassengesellschaft. Außerdem wird befürchtet, dass sich viele bewusst infizieren könnten, um die Vorteile nutzen zu können, die ein zertifizierter Immunitätsnachweis mit sich bringt.

Heftige Kritik am Immunitätsausweis

Die WHO warnt davor, genesenen Corona-Patienten Immunitätsausweise auszustellen. Noch sei nicht bewiesen, dass sich Menschen nach einer überstandenen Covid-19-Erkrankung nicht noch einmal infizieren könnten – trotz der Antikörper. Immunitätsausweise könnten zudem zu negativen sozialen Folgen wie einer Stigmatisierung führen. „Das kann ja so weit gehen, dass ich als Arbeitgeber eine Stelle ausschreibe und ich stelle nur Leute ein, die schon immun sind, weil die nicht ausfallen können“, kommentierte Christian Drosten das Thema Immunitätsausweis im NDR-Podcast.

Versicherungen könnten Genesenen mit Immunitätsausweis einen günstigeren Tarif anbieten oder Personen ohne Ausweis würden nicht mehr zu Feiern eingeladen. „All das müssen wir natürlich verhindern, ich glaube, das zersetzt die Gesellschaft“, so Drosten. Auch das Robert Koch-Institut (RKI) ist derzeit gegen die Einführung eines Immunitätsnachweises. Laut RKI-Chef Lothar Wieler gebe es zu viele offene Fragen, wann und wie lange jemand wirklich immun sei. Der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Ulrich Kelber (SPD), sieht den Vorstoß ebenfalls kritisch. Es handele sich bei jeder Form von Immunitätsnachweisen um Gesundheitsdaten, die besonders zu schützen seien.

Inhuman und verfassungswidrig

Gegenwind kommt auch von den Grünen: „Ein Immunitätspass ist Diskriminierung mit Ansage“, heißt es auf der Facebook-Seite der Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther. Die Folge wäre, dass manche mehr Grundrechte hätten als andere, kritisiert die Grünen-Politikerin und warnt wie Drosten vor einer gesellschaftlichen Spaltung. Eine vorsätzliche Ansteckung von Menschen, die nach überstandener Infektion auf mehr Bewegungsfreiheit hofften, sei nur eine Frage der Zeit – damit würden die Infektionszahlen steigen, und die Risikogruppen seien dadurch stärker gefährdet. Sie hält Spahns Vorstoß für einen medizinisch, ethisch und sozialen Irrweg.

Linken-Fraktionschef Bartsch warnt vor einem Überwachungsstaat und auch die AfD ist gegen den Corona-Ausweis. Vize-Chef Brandner befürchtet Zwangsimpfungen und sieht Grundrechte eingeschränkt.

Zeit.de titelt: „Der Corona-Pass ist inhuman und verfassungswidrig.“ Er spalte die Gesellschaft und schaffe eine Zweiklassengesellschaft. Wer ihn besitzt, habe gewonnen. „Er kann sein altes Leben aus der Vor-Corona-Zeit wieder aufnehmen und muss sich nicht mehr einschränken.“ Die anderen wären die Verlierer, „gezwungen, weiter ein sehr begrenztes Leben mit allen Einschränkungen des Lockdown zu führen – und sie müssen mit ansehen, wie die Privilegierten ihr neues Leben genießen, jeden Tag live und in Farbe“. Das schüre Neid und führe zu Verbitterung. Die staatliche Aufteilung in wenige Gewinner und viele Verlierer sei sozialer und politischer Sprengstoff.

Immunitätsausweis nach massiven Bedenken zurückgestellt

Gesundheitsminister Spahn will erstmal Experten hören und hat dem Ethikrat einen Brief geschrieben: „Ich finde es wichtig, dass es dazu eine gesellschaftliche Debatte gibt, deshalb habe ich den Ethikrat gebeten, dazu eine Positionierung zu machen und das Für und Wider abzuwägen“, begründet er seinen Schritt.

Inzwischen hat der Gesundheitsminister seine Pläne aber offenbar auf Eis gelegt. Einen Immunitätsnachweis für das Coronavirus werde es vorerst nicht geben. Gestern twitterte er: „Die Frage, ob im Falle von #Corona zusätzlich ein Immunitätsausweis sinnvoll ist, sollten wir als Gesellschaft in Ruhe abwägen und debattieren. Deshalb habe ich den Deutschen Ethikrat um eine Stellungnahme gebeten.“ Der „Corona-Pass“ dürfte wohl in absehbarer Zeit nicht kommen – wenn überhaupt.