EuGH-Generalanwalt: Aufweichung des NOx-Grenzwerts für Diesel-Pkw unzulässig

Veröffentlicht am in Abgasskandal

Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat ein Urteil des Europäischen Gerichts (EuG) von 2018 bestätigt: Die Einführung von Faktoren, die eine Überschreitung des geltenden Abgasstandards für Stickoxide in Straßenmessungen erlauben, sei rechtswidrig. Aus den Schlussanträgen des Generalanwalts geht klar hervor, dass der Grenzwert für Stickoxid (NOx) von 80mg/km für Euro 6 Diesel-Pkw bei den vorgeschriebenen Abgasmessungen auch auf der Straße eingehalten werden muss.

Am 10. Juni 2021 wurden die Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts zu Abgasstandards in der Typengenehmigung von Dieselfahrzeugen veröffentlicht. In dem Rechtsmittelverfahren ging es um sogenannte Konformitätsfaktoren bei Abgasstandards in der Typengenehmigung von Dieselfahrzeugen. Die Berufung war von der Europäischen Kommission, Deutschland und Ungarn eingereicht worden. Laut dem EuGH-Generalanwalt ist die Kommissionsverordnung zur faktischen Aufweichung des NOx-Grenzwertes für Diesel Pkw mittels Konformitätsfaktoren bei Messungen im Straßenbetrieb unzulässig.

Kraftfahrt-Bundesamt muss Typzulassungen zurücknehmen

Die von der Kommission nachträglich festgelegten Aufschläge seien rechtwidrig, weil sie ohne Zustimmung des Parlaments und des Rats verabschiedet wurden. Die Kommission sei nicht befugt gewesen, die geltende Abgasnorm zu verwässern. Es kann davon ausgegangen werden, dass der EuGH dieser Einschätzung folgt. Das würde bedeuten, dass die unter dieser unzulässigen Verordnung erteilten Typengenehmigungen für leichte Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge unzulässig sind.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) begrüßt die Entscheidung und beantragt beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), alle betroffenen Typzulassungen für nichtig zu erklären. Sollte der Antrag abgelehnt werden, will der Umweltverband ihn gerichtlich durchsetzen. Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH, kommentiert die Schlussanträge des EuGH-Generalstaatsanwalt: „Und wieder einmal müssen die Gerichte der deutschen Regierung in ihrer Funktion als Dieselkonzern-Marionette die Rote Karte zeigen.“

Nachdem sich die Kanzlerin persönlich beim damaligen EU-Kommissionspräsidenten Juncker an Parlament und Rat vorbei für die Aufweichung des NOx-Grenzwertes von 80 mg/km eingesetzt habe, seien die heute veröffentlichten Schlussanträge des Generalanwalts im Tenor deutlich: „Das war gegen die europäischen Spielregeln und an der Willensbildung der demokratischen Institutionen vorbei. Die dadurch höheren NOx-Abgaswerte sind unzulässig – und damit die betroffenen Typenzulassungen. Deshalb ist der einzig logische Schluss, dass das KBA diese unter falschen Voraussetzungen erteilten Bescheide für nichtig erklärt und alle rechtwidrig zugelassen Fahrzeuge zurückgenommen werden müssen“, so Resch weiter.

Worum geht es in dem EuGH-Verfahren?

Am 20. April 2016 wurde die Verordnung 2016/646 der Kommission zur Bestimmung der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen veröffentlicht. Sie legt die Emissionswerte für neue Fahrzeugtypen der Abgasnorm Euro 6 im realen Straßenbetrieb fest. Sie werden durch sogenannte Real-Drive-Emission-Messungen (RDE) ermittelt. Gegen diese Verordnung hatten die Städte Paris, Brüssel und Madrid geklagt.

Mit Urteil vom 13. Dezember 2018 gab das Europäische Gericht den Klagen statt und erklärte die Verordnung der Kommission in Teilen für nichtig – mit der Begründung, die Kommission sei nicht befugt gewesen, die Euro-6-Emissionsgrenzwerte für die neuen Prüfungen im realen Fahrbetrieb abzuändern. Deutschland, Ungarn und die Kommission hatten 2019 gegen dieses Urteil Rechtsmittel beim EuGH eingelegt.

In seinen Schlussanträgen folgt der Generalanwalt des EuGH jetzt dem Urteil von 2018. Er vertritt die Ansicht, dass die in der Typgenehmigungsverordnung festgelegten Emissionsgrenzwerte für Stickoxide ein wesentliches Element dieses Rechtsakts darstellen. Deshalb dürften nur die Verfasser der Typgenehmigungsverordnung – in dem Fall das Parlament und der Rat – die Emissionsgrenzwerte ändern. Der Kommission fehle dafür die Befugnis, so der Generalanwalt. Damit habe die Kommission mit der Änderungsverordnung die in der Typgenehmigungsverordnung festgelegte Euro-6-Norm unzulässig geändert.

NOx-Messungen müssen im Straßenbetrieb überprüft werden

Laut der Verordnung der Kommission müssen die Abgaswerte seit dem 1. September 2017 bei neuen Euro-6d-TEMP-Fahrzeugen sowohl auf dem Rollenprüfstand als auch durch Messungen im realen Straßenbetrieb überprüft werden. Durch eine Software im Fahrzeug konnten die Rollenprüfstandstests bislang manipuliert werden, indem erkannt wurde, dass sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet. Die Software hat dann eine maximale Abgasreinigung veranlasst und die Abgasreinigung außerhalb des Prüfstands reduziert.

Die EU-Politik hat mittlerweile auch für Pkw im realen Fahrbetrieb verbindliche Grenzwerte vorgeschrieben. Die Messung der „Real Driving Emissions“ von Pkw ergänzt laborgestützte Testverfahren. Für Typengenehmigungen von Diesel-Pkw der Abgasnorm Euro 6d-TEMP ab dem 1. September 2017 galt bis zur Einführung von Euro 6d ein NOx-Grenzwert von 168 mg/km (Konformitätsfaktor 2,1). Für Euro 6d mit Typengenehmigungen ab dem 1. Januar 2020 gilt bis heute ein NOx-Grenzwert von 114 mg/km (Konformitätsfaktor 1,43). Die Senkung auf den Faktor 1, der die Einhaltung des regulären NOx-Grenzwerts von 80 mg/km bedeuten würde, ist noch nicht vorgesehen.