Landgericht Koblenz verurteilt Fiat: Abgasskandal erfasst Wohnmobil-Branche

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Der Abgasskandal trifft jetzt auch die Reisemobilbranche mit voller Wucht: Immer mehr Wohnmobile mit Dieselmotoren stehen unter dem Verdacht, illegale Abschalteinrichtungen zu nutzen. Fiat Chrysler Automobiles (FCA) wurde jetzt im Zusammenhang mit Abgasmanipulationen zum ersten Mal in Deutschland zu Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB verurteilt. Der Kläger hatte Schadenersatzansprüche wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung geltend gemacht.

Das Landgericht (LG) Koblenz hat den Autobauer Fiat Chrysler Automobiles (FCA) wegen Abgasmanipulationen zu Schadensersatz verurteilt (Az. 12 O 316/20). In dem Fall geht es um ein Wohnmobil Roller team Zefiro 266TL Fiat Ducato 2 mit 150 PS. In dem Fahrzeug wurde ein Dieselmotor des Typs Multijet mit einem Hubraum von 2,2 Litern und der Abgasnorm Euro 6 verbaut.

Kläger erhält 52.484,12 Euro Schadensersatz

Der Kläger hatte das Fiat-Wohnmobil im Mai 2017 gekauft und erfahren, dass darin ein Dieselmotor verbaut wurde, der die vorgeschriebene Abgasnachbehandlung etwa 22 Minuten nach dem Motorstart deaktiviert. Durch die Deaktivierung vermittelt das Fahrzeug in der Prüfsituation den Anschein, es würde den gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwert für Stickoxide einhalten. Doch im Realbetrieb werden die Grenzwerte massiv überschritten.

Mit einem Versäumnisurteil vom 1. März 2021 hat das Landgericht Koblenz den FCA-Konzern zu Schadensersatz in Höhe von 52.484,12 Euro plus Zinsen zu zahlen. Weil sich Fiat nicht zu den Vorwürfen äußerte, folgte das LG Koblenz der Argumentation des Klägers. Er sei vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden und habe Anspruch auf Schadenersatz nach § 826 BGB. Grundlage für die Berechnung der Nutzungsentschädigung sei bei einem Wohnmobil nicht die zu erwartende Laufleistung und die gefahrenen Kilometer, sondern die Nutzungsdauer. Das LG Koblenz hatte bei dem Wohnmobil eine Nutzungsdauer von 25 Jahren zu Grunde gelegt.

Stickoxidwerte im Realbetrieb massiv überschritten

Laut dem LG Koblenz „beträgt das reale Abgas-Emissionsverhalten (RDE) insgesamt das 9- bis 15-Fache und übersteigt somit beträchtlich die Grenzwerte, die bei 80 Milligramm pro Kilometer liegen. Im streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Manipulationssystem verbaut, welches zur Folge hat, dass das System nur auf dem Prüfungsstand ordnungsgemäß arbeitet, während die im Prüfungsstand erzielten Stickoxidwerte im Realbetrieb massiv überschritten werden“, so das Gericht.

Fiat Chrysler Automobiles (FCA) und der Schwesterkonzern CNH Industrial mit der Marke Iveco haben offenbar zwischen 2014 und 2019 bei zahlreichen Wohnmobilen, Transportern und Diesel-Pkw die Abgassteuerung manipuliert. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte bereits festgestellt, dass zwei Fiat-Wohnmobile mit der Abgasnorm Euro 5 die Grenzwerte für giftige Stickoxide bei Weitem übersteigen. So soll der Ducato 150 Multijet (Pilote G700G) laut DUH-Gutachten den erlaubten Stickoxidgrenzwert im realen Fahrbetrieb um den Faktor 6,9 überschreiten und der Ducato 150 Multijet (Dethleffs T7150) sogar um den Faktor 9,9.

Verdacht auf unzulässige Abschalteinrichtungen besteht schon länger

Hinweise auf unzulässige Anschalteinrichtungen bei Fiat haben sich zuletzt immer weiter verdichtet. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hatte im Sommer 2020 Büroräume von FCA in Deutschland, der Schweiz und Italien durchsuchen lassen. Es besteht der Verdacht auf die Nutzung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen der Marken Fiat, Alfa Romeo, Jeep und Iveco.

Der Abgasskandal hat spätestens mit dem Urteil des LG Koblenz auch die Wohnmobil-Branche erreicht und dürfte große Wellen schlagen, denn der Fiat Ducato dient vielen Wohnmobilen als Basis. Fahrgestelle und Motoren der Iveco-Wohnmobile werden auch bei zahlreichen anderen Marken verbaut – darunter bei Biomobil, Carthago, Dopfer, Notin, Niesmann und Bischoff. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass auch Modelle dieser Hersteller die EU-Abgasnormen nicht einhalten.

Betroffene Wohnmobil-Besitzer können jetzt Schadensersatz fordern

Vom Abgasskandal betroffene Wohnmobil-Käufer können jetzt erfolgreich auf Schadensersatz klagen. Das zeigt nicht nur das aktuelle Urteil des LG Koblenz – auch der EuGH hatte mit Urteil vom 17. Dezember 2020 festgestellt, dass Abschalteinrichtungen grundsätzlich unzulässig sind, wenn sie im realen Straßenverkehr zu einem erhöhten Emissionsausstoß führen.

Weil am 16. Januar 2021 aus der Fusion der Automobilkonzerne PSA und Fiat Chrysler Automobiles (FCA) die Automobilholding Stellantis N.V. entstanden ist, werden Schadensersatzklagen jetzt nicht mehr gegen Fiat Chrysler Automobiles (FCA) gerichtet, sondern gegen die Stellantis N.V. Wenn Sie sich gegen den Abgasbetrug wehren möchten oder sich nicht sicher sind, ob Ihr Fahrzeug betroffen ist, nutzen Sie gern unsere kostenlose und unverbindliche Erstberatung. Unsere auf den Abgasskandal spezialisierten Anwälte sind gern für Sie da!