VW-Musterprozess: Richter empfiehlt Vergleich

Veröffentlicht am in Abgasskandal

Braunschweig – Ein Lichtblick für Dieselkunden: Am Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig wird zur Zeit das größte Gerichtsverfahren seit dem Abgasskandal bei VW verhandelt. Als schon niemand mehr damit rechnete, wurde der Prozess am zweiten Verhandlungstag gegen Ende noch spannend. Der Vorsitzende Richter, Michael Neef, forderte den VW-Konzern auf, ernsthaft über Vergleichsverhandlungen nachzudenken. Bis Ende das Jahres sollen beide Parteien mitteilen, ob sie bereit sind, Gespräche über eine Einigung zu führen.

Hoffnung für Dieselfahrer

Der Richter appelierte an VW: Der Autokonzern solle sich auf einen Vergleich einlassen. „Sie sollten versuchen, zu einem Vergleich zu finden. Die Kunden würden es auch ihnen danken, wenn das Verfahren abgekürzt würde. Und sich vielleicht mal wieder für ein Konzernauto entscheiden“, so Michael Neef. Diese Ansage dürfte vielen geprellten Dieselbesitzern Hoffnung machen.

Nach Prüfungen in den USA hatte VW im September 2015 Manipulationen an den Abgaswerten von Dieselfahrzeugen eingeräumt. Die Software einiger Motorentypen war so eingestellt worden, dass im tatsächlichen Betrieb auf der Straße deutlich mehr giftige Stickoxide ausgestoßen wurden als auf dem Prüfstand. Viele der Kunden fühlten sich betrogen und klagten einzeln oder im Rahmen der Musterfeststellungsklage.

Hunderttausende Kunden betroffen

Die Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) betrifft etwa 445.000 Dieselkunden, die wegen manipulierter Abgaswerte Schadensersatz von VW fordern. Einige der Kläger sind allerdings schon wieder abgesprungen, um einzeln zu klagen. Es lägen etwa 77.000 Rücknahmeerklärungen vor. Darunter seien möglicherweise einzelne Erklärungen, in denen jeweils mehrere Tausend Verbraucher verzichten, so Neef.

Der Richter kündigte an, sich beim Bundesamt für Justiz für eine schnelle Klärung einzusetzen. Dort müssen die Daten noch abgeglichen werden. VW hofft auf eine baldige Auskunft, um überhaupt abschätzen zu können, wie teuer ein Vergleich werden könnte.

Inhaltlich ging es auch am zweiten Verhandlungstag um den Unterschied zwischen vertraglichen Pflichtverletzungen und sogenannten deliktischen Pflichtverletzungen. Bei den vertraglichen Pflchtverletzungen dürften Schadensersatzansprüche nur schwer durchzusetzen sein, weil die meisten Kunden ihren Kaufvertrag nicht mit dem VW-Konzern, sondern mit einzelnen Händlern abgeschlossen haben.

Nutzung wird verrechnet

Die klagenden Kunden wies der Richter darauf hin, dass bei einer Entschädigung die Nutzung des Autos wahrscheinlich verrechnet werde. Das bedeutet, dass Kunden mit jedem gefahrenen Kilometer weniger Schadensersatz zusteht. Je länger der Prozess dauert, desto weniger Geld könnte es am Ende geben. Für die VW-Kunden wäre eine schnelle Einigung also wünschenswert.

Bereits viele Urteile zugunsten der VW-Kunden

Bei Einzelklagen in Berlin, Koblenz, Karlsruhe und Naumburg wurde bereits zugunsten der VW-Kunden entschieden: Der Autobauer habe vorsätzlich und sittenwidrig getäuscht und den Kunden sei dadurch ein Schaden entstanden.

Auch das OLG Braunschweig könnte das in seinem Musterfeststellungsurteil so sehen. Für den klagenden Verbraucherverband deutete sich am zweiten Verhandlungstag ein Etappensieg an. Dabei sollte es um diese Hauptansprüche des Verfahrens eigentlich erst am nächsten Verhandlungstag gehen.

Wird VW sich auf den Vergleich einlassen?

Der VW-Konzern und seine Anwälte hatten einen Vergleich bislang kategorisch abgelehnt. Ein Vergleich sei kaum vorstellbar, hieß es immer wieder. Im Gerichtssaal des OLG Braunschweig wurde diese Aussage nicht mehr ganz so klar wiederholt. Bis zum 31. Dezember wolle man entscheiden, ob man sich ernsthaft auf Vergleichsverhandlungen einlasse.

Geht VW nicht auf Vergleichsverhandlungen ein, wird das Verfahren im neuen Jahr weitergeführt. Zum Vorwurf der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung wegen gefälschter Dieselabgaswerte hat sich das Gericht noch geäußert. Doch dass Neef die zahlreichen OLG-Urteile zugunsten der Verbraucher erwähnt hat, deuteten die Kläger als Erfolg. Der dritte Verhandlungstermin dürfte spannend werden.