Vorsicht bei Online-Krankschreibung: Kündigung droht!

Veröffentlicht am in Arbeitsrecht

Wer wegen Krankheit nicht arbeiten kann, muss dem Arbeitgeber spätestens nach dem dritten Krankheitstag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) des behandelnden Arztes vorlegen. Während der Corona-Pandemie ist es ausnahmsweise auch ohne Arztbesuch möglich, sich eine AUB ausstellen zu lassen. Mittlerweile gibt es auch Online-Dienste, die AUB ausstellen, ohne dass der Patient beim Arzt war. Doch hier ist Vorsicht geboten: Eine AU-Bescheinigung ohne Arztbesuch ist kein rechtssicherer Nachweis der Arbeitsunfähigkeit. Schlimmstenfalls kann sogar die Kündigung drohen.

Der Arbeitnehmer ist laut § 5 Abs. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. „Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen“, heißt es im Gesetzestext. Weil der Arbeitgeber grundsätzlich sechs Wochen lang den Lohn weiterzahlen muss, braucht er die AU-Bescheinigung für seine Lohnbuchhaltung.

Wie funktioniert die Online-Krankschreibung?

Wegen der Corona-Pandemie haben Ärzte den Publikumsverkehr reduziert und es war schwer, Termine für eine Untersuchung zu bekommen. Daher war es möglich, AUB auch ohne Arztbesuch zu bekommen. Mehrere Online-Dienste haben die Gunst der Stunde genutzt und bieten AU-Bescheinigungen an, die ohne ärztliche Untersuchung online beantragt werden. Für Patienten ist der Online-Krankenschein ganz einfach zu bekommen:

• Der erkrankte Arbeitnehmer klickt sich durch ein Formular und beantwortet Fragen nach seinen Symptomen.

• Sind alle Fragen beantwortet, schickt er das Formular ab.

• Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt als PDF per E-Mail oder per Post.

AU-Bescheinigung ohne Arztbesuch nicht rechtssicher

Online-Krankschreibungen bergen rechtliche Risiken. In vielen Fällen genügt eine digitale Vorlage nicht. Oft wird der gelbe Schein im Original oder zumindest per E-Mail verlangt. Wenn der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit bereits am ersten Krankheitstag mit dem Original erbracht werden muss, ist eine fristgerechte Vorlage beim Arbeitgeber nicht möglich. Zudem darf die Online-Krankschreibung nicht bei schweren Erkrankungen und Vorerkrankungen genutzt werden. Zulässig ist die Online-AUB unter anderem bei Corona, Erkältung, Grippe, Magen-Darm-Beschwerden, Rückenschmerzen und Migräne.

Anfangs bekam der Arbeitnehmer die AU-Bescheinigung noch per WhatsApp zugesandt. Für Arbeitgeber bestand bei der Übermittlung per WhatsApp das Risiko datenschutzrechtlicher Sanktionen, denn WhatsApp greift auf die Daten im Telefonbuch des Nutzers zu und übermittelt sie an Server in den USA. Für die Übermittlung benötigt der Arbeitgeber die Einwilligung der betroffenen Kontakte, falls diese nicht selbst WhatsApp nutzen. Mittlerweile wurde dieses Vorgehen vom Landgericht (LG) Hamburg untersagt, weil die Krankschreibung aufgrund der Server in den USA nicht datenschutzkonform ist.

Beweiskraft der Online-AU-Bescheinigung zweifelhaft

Mit der AU-Bescheinigung weist der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber nach. Gerichte verlassen sich auf deren Richtigkeit, weil der Arbeitnehmer von einem Arzt untersucht wurde, der sich persönlich von der Arbeitsunfähigkeit überzeugt hat. Dieser hohe Beweiswert wird beeinträchtigt, wenn gar keine persönliche Untersuchung des Arbeitnehmers stattgefunden hat.Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) schon 1976 entschieden (Az. 5 AZR 422/75): Wenn keine Untersuchung durchgeführt wurde, könne die Bescheinigung allein die Arbeitsunfähigkeit nicht beweisen, so die Richter. Stattdessen müsse der Arbeitnehmer diesen Beweis mittels anderer Beweismittel erbringen.

Kann der Arbeitgeber nachweisen, dass keine Untersuchung stattgefunden hat, muss der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit im Streitfall anderweitig nachweisen. Andernfalls kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern, bis der Arbeitnehmer den Nachweis vorgelegt hat. Hat der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht, kann der Arbeitgeber arbeitsrechtlichen Sanktionen verhängen.

Online-AUB: Bei vorgetäuschter Krankheit droht die Kündigung

Mehrere Arbeitgeber, die Online-AU-Bescheinigungen erhalten haben, waren skeptisch, ob tatsächlich eine Erkrankung vorlag. Sie haben nachgeforscht und es kam zu zahlreichen Kündigungen. Wer nicht krank ist und vortäuscht, arbeitsunfähig zu sein, schädigt den Arbeitgeber, der ihm den Lohn fortzahlt, ohne eine Gegenleistung in Form von Arbeit zu erhalten. So ein Arbeitszeitbetrug kann sogar strafrechtliche Konsequenzen haben.

Das Landgericht Hamburg hat in einem Urteil vom 3. September 2019 Zweifel an dem Geschäftsmodell des Hamburger Start-ups und Verstöße gegen medizin- und wettbewerbsrechtliche Vorschriften festgestellt. Das Gericht verwies auf die erforderliche Sorgfalt bei der Ausstellung ärztlicher Atteste, die grundsätzlich einen unmittelbaren Kontakt zwischen Arzt und Patient verlange. Ohne persönlichen Kontakt könne kein Arzt feststellen, ob der Patient tatsächlich an der von ihm selbst vermuteten oder behaupteten Krankheit leide. Die ärztliche Krankschreibung sei auch Grundlage für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Die für die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit wichtige Schwere der Erkrankung könne ohne unmittelbaren persönlichen Eindruck nicht zuverlässig eingeschätzt werden.

Ausnahme Corona: Telefonisch angeforderte AU-Bescheinigung

Wer seinen Arzt wegen Corona telefonisch kontaktieren kann, um mit ihm über seine Symptome zu sprechen, kann sich anschließend eine AU-Bescheinigung per Post schicken lassen. Durch diese Sonderregelung während der Pandemie soll das Infektionsrisiko in der Praxis reduziert werden. In allen anderen Fällen empfiehlt es sich, vor Ort zum Arzt zu gehen. Findet sich kein Arzt in der Nähe, der kurzfristig behandeln kann, sollte der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber abklären, wie er vorgehen soll, und die Kontaktaufnahme per E-Mail dokumentieren.