Verwendung unzureichender Unterlagen – fehlerhafte Anlageberatung

Veröffentlicht am in Bank- und Kapitalmarktrecht

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 11. Juli 2013 (Az.: 7 U 95/12) entschieden:

Die Benutzung fehlerhafter Prospekte, Beratungs- oder Vertragsunterlagen im Rahmen der Anlageberatung, welche als Basis der Beratung oder des Vertragsabschlusses dienen, stellt eine Falschberatung und damit Pflichtverletzung durch den Anlageberater dar. Der Schadensersatzanspruch beinhaltet ferner auch die Freistellung von Darlehensverbindlichkeiten, vorliegend bei der Deutschen Kreditbank DKB. Die Hemmung der Verjährung nach § 204 Nr. 1 BGB umfasst bei einem Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Beratung über eine Lebensversicherung alle Pflichtverletzungen, soweit diese auf demselben Lebenssachverhalt basieren. Damit bestätigte das OLG Stuttgart ein Urteil des Landgerichts Ulm vom 24. April 2012 (Az.: 3 O 28/11).

Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde:

Der Kläger schloss im Jahr 2001 auf Grundlage der Beratung durch einen Vermittler mit der Beklagten einen Lebensversicherungsvertrag des Typs „Wealthmaster“, welcher in das Anlagemodell „EuroPlan“ eingebunden war. Dabei wurde ein Bankdarlehen bei der Deutschen Kreditbank (DKB) aufgenommen, dessen Summe als Einmalzahlung in die Lebensversicherung bei der Beklagten investiert wurde. Zusätzlich erfolgte die Zeichnung und Besparung eines Investmentfonds. Das aufgenommene Darlehen ist endfällig. Die während der Laufzeit zu zahlenden Zinsen sollten mit den vierteljährlichen Auszahlungen aus der Lebensversicherung bedient werden, bei Endfälligkeit sollte dann eine Tilgung aus dem Investmentfonds erfolgen. Bei der Beratung wurde dem Kläger eine „Kurzberechnung“ über die Entwicklung der Lebensversicherung vorgelegt. Ferner erhielt der Kläger einen Versicherungsschein und zugehörige Kapitallebensversicherungspolicen mit weiteren Informationen.

Pflichtverletzung durch die Beklagte: fehlerhafte Beratung und Risikoaufklärung

Allgemein ist der Versicherer zu Beratung, Aufklärung und Information verpflichtet, sofern der Versicherungsinteressent erkennbar einer solchen Beratung bedarf. Vorliegend resultiert die Notwendigkeit einer eingehenden Beratung bereits aus der Komplexität des Anlageprodukts. Das bei Vertragsschluss verwendete Material war hierzu nicht ausreichend, da sich der Kläger, basierend auf den ihm zur Verfügung gestellten Informationen, kein umfassendes Bild zu den Einzelheiten des Anlageprodukts machen konnte. Zudem wurde die Renditeentwicklung als zu positiv angepriesen. Der Kläger wurde somit nicht ausreichend über die grundsätzliche Funktionsweise des gewählten Anlageproduktes aufgeklärt und erhielt daher nicht alle für die Anlageentscheidung notwendigen Informationen. Die Beklagte hat somit ihre Pflicht zu einer vollumfänglichen Beratung im Vorfeld des Vertragsschlusses verletzt.

Einschaltung eines Vermittlers: Zurechnung der Beratungsfehler

Die Beklagte hat die Anlageberatung nicht selbst vorgenommen, sondern hat sich zu diesem Zweck eines Vermittlers bedient. Nach Ansicht der Bundesgerichtshofes (IV ZR 164/11) muss sich die Beklagte das Handeln des Vermittlers zurechnen lassen (über § 278 BGB), wenn dieser mit Wissen und Wollen Aufgaben übernommen hat, die typischerweise der Beklagten obliegen. So liegt es im vorliegenden Fall.

Die Entscheidung des Gerichts: Ersatz des Vertrauensschadens und Verjährungshemmung

Nach der Entscheidung des OLG Stuttgart hat die Beklagte dem Kläger den geltend gemachten Vertrauensschaden zu ersetzen, d.h. der Kläger ist so zu stellen, als hätte er nie den Lebensversicherungsvertrag des Typs „Wealthmaster“ abgeschlossen.

Die Klage auf Schadensersatz hemmt gemäß § 204 Nr. 1 BGB die Verjährung der Ansprüche. Nach Ansicht des Gerichts umfasst diese Hemmung den gesamten Streitgegenstand, also auch solche Tatsachen, die zwar nicht vorgetragen wurden, jedoch auf demselben Lebenssachverhalt basieren.

Folgen des Anspruchs: Ersatz entstandener Schäden und Freistellung von Verbindlichkeiten bei der DKB

Infolge des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs ist die Beklagte verpflichtet, den Kläger von der Darlehensverbindlichkeit bei der Deutschen Kreditbank DKB freizustellen sowie dem Kläger jegliche entstandenen Schäden nebst Zinsen zu ersetzen. Diese Verpflichtungen sind Zug um Zug gegen Abtretung des Fondsdepots zu erfüllen.

Bedeutung des Urteils

Dieses Urteil des OLG Stuttgart verdeutlicht einmal mehr die berechtigt hohen Anforderungen, welche an den Verbraucherschutz gestellt werden. Verbrauchern soll bei der Wahl von Anlageprodukten stets die Möglichkeit gegeben werden, ihre Entscheidung aufgrund vollständiger und kompetenter Beratung gewissenhaft zu überdenken, sodass zu Recht dementsprechende Ansprüche an das Aufklärungsverhalten der Anlageberater gestellt werden.