Opfergrenzeneinwand trotz Vermieters Vorsatztat? – Verbauen des Ausblicks aus „Funktionsräumen“ durch Grenzabstandsverletzung

Veröffentlicht am in Immobilien- und Mietrecht

Opfergrenzeneinwand: Der BGH (Hinweisbeschluss vom 22.01.2014 – VIII ZR 135/13 (LG Berlin) hat auf folgendes hingewiesen:

Der auf Mangelbeseitigung auf Rückbau in Anspruch genommene, vorsätzlich in den Grenzabstand hineinbauende Vermieter kann nach den vom Tatrichter abzuwägenden beiderseitigen Parteiinteressen gleichwohl zum Opfergrenzeneinwand berechtigt sein (hier: wenn der Mieter die Bautätigkeit im Grenzabstand zunächst tatenlos hingenommen hat und allein die Aussicht aus seinen Funktionsräumen beeinträchtigt ist, der Vermieter aber eine zumindest sechsstellige Summe zur Herstellung eines mietvertragsgemäßen Zustands aufwenden müsste).

Der Senat hat zur Reichweite der dem Mangelbeseitigungsanspruch des Mieters (§ 535 Absatz I Satz 2 BGB) entgegenstehenden Einrede aus § 275 Absatz 2 BGB bereits entschieden, dass die Verpflichtung des Vermieters zur Beseitigung eines Mangels dort endet, wo der dazu erforderliche Aufwand die „Opfergrenze“ überschreitet. Unter welchen Umständen diese Zumutbarkeitsgrenze überschritten ist, muss unter Berücksichtigung der beiderseitigen Parteiinteressen wertend ermittelt werden.

Besteht etwa ein krasses Missverhältnis zwischen dem Mangelbeseitigungsaufwand einer- und dem Nutzen der Mangelbeseitigung für den Mieter andererseits, ist das Überschreiten der Zumutbarkeitsgrenze indiziert. Im Extremfall kann dieses Indiz so stark sein, dass es schwer vorstellbar erscheint, welche weiteren Umstände zu einer anderen Abwägung sollten führen können (vgl. Senat, NZM 2010, NZM Jahr 2010 Seite 507 = NJW 2010, NJW Jahr 2010 Seite 2050 Rn. NJW Jahr 2010 Seite 2050 Randnummer 21 ff.; NZM 2005, NZM Jahr 2005 Seite 820 = NJW 2005, NJW Jahr 2005 Seite 3284). Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Einzelfall ist Sache des Tatrichters.

Vorliegend ließ die Vermieterin in den Jahren 2010/2011 auf dem Grundstück M-Straße 16 in Berlin ein mehrstöckiges Wohnhaus errichten, das mit einer Außenwand unmittelbar an die Giebelseite des Anwesens C-Straße 21 angrenzt, in der sich die Fenster von Küche und Bad der an die Mieterin vermieteten Wohnung befinden.

Den auf Herstellung eines Mindestabstands von 3 m zwischen den beiden Gebäuden gerichteten Widerklageantrag der Mieterin hat das Landgericht Berlin mit der Begründung abgewiesen, dass die Vermieterin dem Mangelbeseitigungsanspruch der Mieterin mit Erfolg den Einwand aus § 275 Abs. 2 BGB entgegensetzen könne. Zwar sei zugunsten der Mieterin eine vorsätzlich mietvertragswidrige Errichtung des Neubaus zu unterstellen. Der Erfolg der erstrebten Mangelbeseitigung stehe jedoch in keinem Verhältnis zum Aufwand der Mangelbeseitigung, der sich wegen des dafür erforderlich werdenden Teilabrisses des neu errichteten Gebäudes zumindest auf einen namhaften sechsstelligen Betrag belaufe. Zwischen dem Mangelbeseitigungsaufwand und dem Mangelbeseitigungserfolg bestehe daher ein krasses Missverhältnis, zumal von den Beeinträchtigungen nicht zentrale Wohnräume, sondern allein Funktionsräume betroffen seien.

In die wertende Gesamtbetrachtung sei einzubeziehen, dass die Mieterin den Baufortschritt hingenommen habe, ohne die Vermieterin auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen.
Dass die Vermieterin den zum Mangel der Mietsache führenden Umstand (Errichtung des Neubaus direkt an der Grundstücksgrenze) vorsätzlich herbeigeführt hat, führt nicht zum Verlust der Einrede aus § 275 Absatz 2 BGB.

Nach dem Gesetz ist bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat (§ 275 Absatz 2 BGB). Die Vorschrift des § 275 Absatz 2 BGB schließt es mithin nicht aus, dass es Umstände geben kann, unter denen sich auch ein Schuldner, der das Leistungshindernis vorsätzlich herbeigeführt hat, mit Erfolg auf die Einrede berufen kann.

Dem steht die Entscheidung des BGH (NZM 2008, Seite 861) nicht entgegen. Hier hatte der BGH lediglich ausgeführt, dass die nach § 275 Absatz 2 BGB gebotene Abwägung bei einem Anspruch auf Beseitigung eines grob fahrlässig (und erst recht eines vorsätzlich) errichteten Überbaus in der Regel dazu führen wird, dass die Einrede zu versagen ist. Dem lässt sich aber nicht entnehmen, dass einem vorsätzlich handelnden Schuldner die Berufung auf die Einrede in jedem Fall verwehrt wäre.

Vgl. zum Ganzen BGH Hinweisbeschluss vom 22.1.2014 – VIII ZR 135/13 (LG Berlin) in NZM 2014 Seiten 432/433

Von Baumaßnahmen betroffenen Mietern ist daher zu raten, rechtzeitig auf für sie nachteilige bauliche Veränderungen im Zusammenhang mit der Mietwohnung zu reagieren. Unter Umständen muss der Weg einer einstweiligen Verfügung gegangen werden.

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