Wowereit verliert letzte Presseschlacht vor dem Bundesgerichtshof

Veröffentlicht am in Medienrecht

Am Vorabend einer Misstrauensabstimmung im Abgeordnetenhaus hatte der ehemalige Bürgermeister die Paris-Bar, einen bekannten Promitreff in Berlin, besucht. BILD berichtete über diesen Besuch unter der Überschrift „Vor der Misstrauensabstimmung ging´s in die Paris-Bar …“ Im Bildtext heißt es unter anderem: „Der Regierende wirkt am Vorabend der Abstimmung im Parlament ersichtlich entspannt … und genehmigt sich einen Drink in der Paris-Bar (Kantstraße)“. Der Beitrag enthielt zahlreiche Bilder, die Wowereit nur in der Bar zeigten.

Der ehemalige regierende Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD, 62) muss eine herbe Niederlage gegen BILD vor dem Bundesgerichtshof hinnehmen (BGH, Urt. v. 27.09.2016, VI ZR 310/14, Pressemitteilung).

Nur vorläufiger Sieg für Wowereit

Das Landgericht Berlin hatte der auf Unterlassung der weiteren Veröffentlichung der Bilder gerichteten Klage zunächst stattgegeben. Die 27. Zivilkammer kam zu dem Schluss, dass die Bilder nicht mehr dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen wären, sondern das Interesse Wowereits an einem Besuch in einer Bar, in der er sich unbefangen bewegen kann, im Vordergrund stehen würde.

Der Bundesgerichtshof entschied nun anders. Doch bevor die Entscheidung des Bundesgerichtshofs genauer beleuchtet wird, ein kleiner Exkurs zum Begriff der Zeitgeschichte:

Die §§ 22 f. KUG enthalten ein abgestuftes Schutzkonzept: Grundsätzlich ist die Veröffentlichung eines Bildnisses einer Person gemäß § 22 S. 1 KUG nur mit deren Einwilligung zulässig. Hiervon macht § 23 Abs. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich bei dem veröffentlichten Bild um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Gleichwohl ist die ohne Einwilligung erfolgte Veröffentlichung unzulässig, wenn hierdurch berechtigte Interessen des Betroffenen verletzt werden.

Nachdem der BGH früher iRd. § 23 Abs. 1 KUG zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte unterschieden hatte, verfolgt er unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte inzwischen diese Differenzierung nicht weiter und hat stattdessen das „abgestufte Schutzkonzept“ der §§ 22 f. KUG weiterentwickelt und präzisiert (Vgl. nur BGH NJW 2008, 749; NJW 2007, 1977; GRUR 2007, 902.).

Danach muss die Auslegung des Begriffs der Zeitgeschichte die besondere Bedeutung der durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geschützten Presse und Meinungsbildungsfreiheit der Medien sowie die durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Informationsfreiheit der Allgemeinheit berücksichtigen. Auf der anderen Seite wird das öffentliche Interesse durch das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen begrenzt (vgl. Art. 5 Abs. 2 GG). Auch Prominente müssen die Veröffentlichung ihres Bildes nicht uneingeschränkt dulden. Die danach für jeden Einzelfall gesondert zu treffende Abwägung hat bereits auf Ebene des § 23 Abs. 1 KUG bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „aus dem Bereich der Zeitgeschichte“ und nicht erst im Rahmen des § 23 Abs. 2 KUG zu erfolgen (BGH NJW 2007, 3440/3441 f.; 1977/1978.). Allgemein wird angenommen, dass ein Bild dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, wenn das Bild einen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit berührenden Frage beitragen kann, wenn es also Anlass zu einer öffentlichen Debatte geben kann. Dabei ist nicht nur das Bild isoliert zu betrachten, sondern auch eine das Bild begleitende Wortberichterstattung.

Allgemeinheit hat berechtigtes Interesse

Gemessen an diesen Maßstäben kam der Bundesgerichtshof im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass die Bilder, die den ehemaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin am Vorabend einer Vertrauensabstimmung bei einem Cocktail in einer Bar zeigen, dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen sind. Die Allgemeinheit habe ein berechtigtes Interesse daran, wie der Betroffene mit der Situation umgeht und sich auf ein mögliches Ende seiner Karriere vorbereitet. An diesem Abend konnte Wowereit nicht damit rechnen, den Blicken der Öffentlichkeit entzogen zu sein. Dass er der Vertrauensabstimmung offenbar relativ gelassen entgegensieht, unterstreicht sein öffentliches Bild als „Partybürgermeister“. Die Legalisierung der Bildberichterstattung ergibt sich in dem vorliegenden Artikel also aus der begleitenden Wortberichterstattung. Wowereit überstand übrigens das Misstrauensvotum.

Mit ähnlichen Formulierungen haben in der Vergangenheit immer wieder Promi-Magazine erfolgreich Bilder von Politikern aus dem eigentlich privaten Urlaub veröffentlicht, indem beispielsweise im Rahmen der begleitenden Wortberichterstattung zunächst der kommende Terminkalender des jeweiligen Politikers dargelegt wurde und am Rande gefragt wurde, wie sich der Politiker auf diese anstrengende Woche vorbereitet. Die Gratwanderung zwischen zulässiger Berichterstattung und unzulässigem Eingriff in die Privatsphäre fällt damit für Journalisten immer einfacher aus.

Der Medienanwalt von Klaus Wowereit hat gegenüber dem Berliner Tagesspiegel angekündigt, die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde zu prüfen.