Bundesgerichtshof: Eltern müssen Kinder bei Urheberrechtsverletzung verraten

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Eltern müssen ihre Kinder verraten, wenn sie zugegeben haben, dass sie für eine Rechtsverletzung verantwortlich sind, die über den gemeinsam genutzten Internetanschluss begangen wurde. Damit hat der Bundesgerichtshof die Entscheidungen in den Vorinstanzen bestätigt.

Bernhard Knies wirkt entspannt, als er vor dem Bundesgerichtshof neben dem am Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt Herbert Geisler sitzt. Als sei er sich seiner Sache sicher. Dabei hat Knies das hier streitige Verfahren bisher vor zwei Instanzen verloren. Was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Auch der Bundesgerichtshof wird die Revision zurückweisen.

Über den Internetanschluss einer Familie wurde das Musikalbum „Loud“ der Künstlerin Rihanna heruntergeladen, führt der Vorsitzende Wolfgang Büscher einleitend aus. Mit der Aussprache englischer Eigennamen tut sich der 64-Jährige ein wenig schwer. Die Anschlussinhaber, ein Ehepaar, hatten das Album nicht heruntergeladen. Stattdessen hatten sie ihre drei erwachsenen Töchter gefragt und eine hatte die Tat auch zugegeben. Welche allerdings, das wollten sie über zwei Instanzen nicht bekannt geben. Zu Unrecht, entschieden die Richter des Oberlandesgerichts München im Januar 2016 und verurteilten die Eltern zur Zahlung von rund 3.500,- EUR Schadenersatz.

Nun also liegt der Fall beim Bundesgerichtshof. Knies sitzt neben Geisler. Mit seiner schwarzen Robe wirkt Knies wie ein Fremdkörper in dem Saal, in dem Anwälte und Richter nur karmesinrote Roben tragen. Ein Jahrgang von künftigen Rechtspflegern ist unangekündigt mit im Saal. In letzter Eile müssen weitere Stühle herbeigeschafft werden. Die jungen Menschen geben der Verhandlung – bei der es schließlich auch um junge Erwachsene geht – die passende Atmosphäre.

Mit mehr als 10 Minuten Verspätung beginnt die Verhandlung in dem viel zu kleinen Saal. Eher beiläufig ergehen nebenbei in drei Verfahren, die ebenfalls mit Urheberrechtsverletzungen über Tauschbörsen zu tun haben, Versäumnisurteile. In der Sache I ZR 19/16 führt Büscher die Beteiligten in den Sachstand ein und bittet anschließend die Rechtsanwälte um ihre Plädoyers.

Rückendeckung durch Vorentscheidung

Es ginge vorliegend darum, ob die sekundäre Darlegungslast erfüllt sei oder nicht, führt Geisler aus. Die grundsätzlichen Vorgaben habe die Afterlife-Entscheidung vorgegeben. In dieser Entscheidung hatte der Bundesgerichtshof im Oktober vorigen Jahres entschieden, dass es ausreichen würde, wenn der streitgegenständliche Internetanschluss von weiteren Familienangehörigen genutzt wird. In einem solchen Fall sei es dem Anschlussinhaber schlicht unzumutbar, zu dem konkreten Nutzungsverhalten des Ehegatten im Rahmen des Zivilprozesses vorzutragen, oder gar den Computer eines Partners zu untersuchen, um so den Verdacht gegen ihn zu erhärten. Auch bei Kindern müsse dies gelten, erklärt Geisler.

Geisler: „Schlimmer kann ein Familienfrieden nicht gestört werden“

Die sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers dürfe nicht derart überspannt werden, dass die Familienangehörigen einer zivil- oder strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt werden könnten. Kinder seien sogar noch weiter zu schützen als der Ehegatte, findet Geisler. Sie dürften auf keinen Fall denunziert werden und damit ins offene Messer laufen müssen. So recht wollen die Sätze nicht in Karlsruhe einschlagen. Sie kommen aus Schriftsätzen, wie sie in Zivilprozessen deutschlandweit immer wieder fast gebetsmühlenartig wiederholt werden. Sie werden am Ende des Tages überholt sein.

Zivilprozessuale Möglichkeiten sollen ausgeschöpft werden

Geisler weist auf den zivilprozessualen Grundsatz hin, dass derjenige, der sich eines Anspruchs berühmt, auch die Voraussetzungen des Anspruchs darlegen und beweisen muss. Nichts anderes könne hier gelten. Die Eltern könnten nicht zu Staatsanwälten innerhalb der Familie ernannt werden, die dann dem Rechteinhaber alle Informationen liefern müssten, damit diese ihre Klage erfolgreich durchsetzen können. Er verweist auf die zivilprozessualen Möglichkeiten in diesem Fall; etwa die Streitverkündung, die Beklagtenerweiterung oder eben auch die Klagerücknahme. Ähnlich sei es bei Schlägereien, bei denen man nicht genau wisse, wer zugeschlagen hat. Auch da könne die Klage gegen mehrere Personen gerichtet werden. Und auch das: Die Rechteinhaber seien bereits zweifach bevorteilt, weil sie einerseits den Anscheinsbeweis auf ihrer Seite haben und andererseits auch noch die sekundäre Darlegungslast. Geisler scheint selbst zu merken, dass seine Vergleiche nicht nur wertungsmäßig, sondern auch juristisch hinken. Der sonst so sicher sprechende Rechtsanwalt verhaspelt sich und stolpert in seinem Plädoyer jetzt gelegentlich.

Kritik an vergangenen Entscheidungen

Christian Rohnke, der an diesem Tag die Musikindustrie vertritt, weist schon bei der Einleitung seines Plädoyers darauf hin, dass er etwas ausführlicher werden muss. Der vorliegende Fall sei ein Fall von großer praktischer Bedeutung. Er zitiert noch einmal aus den Entscheidungen „Afterlife“ und „Everytime we touch“ die Schlagworte. „Ohne Zutun“, „plausible Nutzung“ und „ keine bloße theoretische Möglichkeit“ rauscht durch den Raum. Er kritisiert die Afterlife-Entscheidung des Senats, weil sie eine wesentliche Abschwächung der dem Anschlussinhaber obliegenden sekundären Darlegungslast bedeutet.

In der Entscheidung heißt es, es genüge, wenn andere Nutzer benannt würden. Rohnke stört sich an dieser Formulierung. Es müsse gar nicht deren Zugriffsmöglichkeit bewiesen werden, sagt er. Die Benennung reiche danach aus. Auch ließe sie keine konkreten Ausführungen zu einer Interessenabwägung erkennen. Wenn heute die Grundsätze aus der Afterlife-Entscheidung bestätigt würden, würde dies zu einer Aufhebung der Grundsätze aus der Everytime-We-Touch-Entscheidung führen, befürchtet und warnt Rohnke.

Rohnke: Keine realistische Möglichkeit mehr, Ansprüche durchzusetzen

Rohnke weist auch auf andere zivilprozessuale Ungereimtheiten hin: Der Anschlussinhaber habe im Zivilprozess die Rolle des Beklagten, nicht die des Zeugen. Ihm könne schon kein Zeugnisverweigerungsrecht zukommen, da er vielmehr der prozessualen Wahrheitspflicht aus § 138 Abs.1 ZPO unterliegt. Es müsse doch nur die Frage geklärt werden, wer den Schaden letztlich bezahlt. Innerhalb der Familie könne dies keinen Unterschied machen.

Ähnlich sei es nach einem Autounfall mit dem Familienauto. Es sei wohl normal, anschließend nachzufragen, wer mit dem Fahrzeug gefahren sei. Keiner würde auf die Idee kommen, dass in dieser Nachfrage ein Eingriff in den familiären Frieden zu sehen sei, sagt Rohnke. In den vorliegenden Fällen würde es jedes Mal ausreichen, zu behaupten, auch Familienangehörige hätten Zugriff auf den Anschluss. Dies würde bei einer Vielzahl von Fällen dazu führen, dass es praktisch unmöglich sei, seine Ansprüche mit Erfolg geltend zu machen.

„Es geht um geringe Beträge für die Anschlussinhaber, aber nicht für die Rechteinhaber.“

Das Schlimmste, das passieren könnte, sagt Rohnke, sei, dass die Eltern die Schulden der Kinder bezahlen müssten. Das sei nichts Ungewöhnliches und passiere nun einmal. Auch würde dies keinen Eingriff in den Kernbereich der Familie darstellen. Für die Anschlussinhaber würde beispielsweise die Möglichkeit bestehen, diese in Raten zu zahlen. Immerhin würde es auch nicht um existenzgefährdenden Beträge gehen, für die Musikindustrie in der Addition allerdings schon. Daher müssen Anschlussinhaber Tatsachen, die sie bereits kennen, auch nennen, fordert er.

Geisler nutzt die Möglichkeit zu einer kurzen Stellungnahme und wirft seinem Kollegen Rohnke vor, er wolle die Eltern in Sippenhaft nehmen wollen. Auch dürften die Fälle nicht miteinander vermischt und verglichen werden. Hier ginge es um einen sehr konkreten Fall, in dem auch sehr konkret vorgetragen wurde. In der Entscheidung „Everytime we touch“ sei der Vortrag dagegen sehr pauschal geblieben. Geisler weist nochmals auf die vielen prozessualen Möglichkeiten hin, die es gäbe.

Urheberrechtsverletzung ist keine Schlägerei

Eine Wahlfeststellung sei dem Zivilrecht fremd, erklärt Rohnke. Die Rechteinhaber könnten nicht eine Klage gegen mehrere Familienangehörige einreichen, mit der Begründung, einer der genannten sei es schon gewesen. Daher kann der Fall auch nicht mit einer Schlägerei verglichen werden, bei der jeder einen eigenen Tatbeitrag geleistet hat. So liegt es hier nicht. Hier ist allein eine Person für die Rechtsverletzung verantwortlich.

Bundesgerichtshof bestätigt Entscheidung der Vorinstanzen

Nach einer mehrstündigen Unterbrechung hat der Senat die Urteilsverkündung auf 15:00 Uhr festgesetzt. Bereits die ersten Worte des Vorsitzenden lassen erahnen, dass der Senat die Revision zurückweisen wird. Überraschung und fast fassungslose Blicke zwischen Beteiligten. Bernhard Knies sitzt ohne BGH-Anwälte in der ersten Reihe. Nervös schlägt er mit einem Bein. Es scheint, als würde er jetzt jedes Wort des Vorsitzenden aufsaugen.

Wer im Rahmen einfacher Nachforschungen erfährt, wer der Täter einer Rechtsverletzung ist, soll bekanntgeben, wer der Täter ist, stellt der Senat klar. Was er nicht will, sind weitergehende Nachforschungen, etwa durch Auswertung des Computers des Kindes, um herauszufinden, ob darauf Filesharing-Software aufgespielt wurde. Dabei spricht er das Wort Filesharing eher als „Filescheering“ aus. „Das geht uns zu weit“, sagt Büscher. Maßgeblich sei, dass der Anschlussinhaber nicht dazu verpflichtet ist, Nachforschungen zu betreiben. Allerdings müsse er auch mit den prozessualen Konsequenzen rechnen, wenn er diesen nicht nachkäme und diese würden im Verlust des Verfahrens liegen.

Kritik aus der Branche

In Berlin sitzen derweil die Rechtsanwälte Johannes von Rüden und Nico Werdermann zusammen. Sie beraten sich und loten erste Reaktionen auf die Entscheidung aus. Als „Eingriff in den Kernbereich des familiären Zusammenlebens“ bezeichnet Werdermann das Urteil. Das Urteil habe ihn doch sehr überrascht. „Man könnte jetzt natürlich über eine Verfassungsbeschwerde nachdenken. Der sachliche Schutzbereich von Art. 6 GG könnte durch diese Entscheidung berührt sein.“