Neue Vorfahrtsregel: Bundesgerichtshof entschied über Vorfahrt bei verengter Fahrbahn

Veröffentlicht am in Verkehrsrecht

Der Bundesgerichtshof (BGH) befasste sich mit einem Verkehrsunfall, der durch eine verengte Fahrbahn entstand. Dabei entschieden die Richter des höchsten Zivilgerichts Deutschlands, dass der rechtsfahrende Verkehrsteilnehmer nicht automatisch Vorfahrt hat, wenn aus zwei Fahrspuren eine gemeinsame wird – wie bei einer beidseitig verengten Fahrbahn. Stattdessen müssten sich die beiden Verkehrsteilnehmer verständigen, wer zuerst auf die neue Spur fährt (Az. VI ZR 47/21).

Keine Vorfahrt: Unfall im Hamburg wegen verengter Fahrbahn

In Hamburg hatte sich 2018 ein Unfall ereignet, weil ein Lkw gegen einen Pkw gefahren war. Beide Fahrzeuge waren gleichauf – der Pkw auf der rechten Spur, der Lkw auf der linken –, bevor hinter einer Ampel nur noch eine Spur übrigblieb. Diese Verengung war mit dem Verkehrsschild 120 „beidseitige Fahrbahnverengung“ gekennzeichnet. Da der Lkw-Fahrer das Auto neben sich nicht gesehen hatte, zog er nach rechts, um auf die Spur hinter der Ampel zu fahren. Die Frau am Steuer des Pkw hingegen war davon ausgegangen, Vorfahrt zu haben, da sie sich auf der rechten Spur befand. Beide Fahrzeuge stießen zusammen und wurden beschädigt.

Die Kfz-Versicherung des Lkw-Fahrers wollte der Pkw-Fahrerin nur die Hälfte des Schadens bezahlen, weil die Versicherung eine Mitschuld bei der Frau sah. Die Fahrerin klagte dagegen vor dem Amtsgericht und dem Landgericht Hamburg, um den Schaden am Fahrzeug zu 100 Prozent ersetzt zu bekommen. In letzter Instanz sprach aber auch der BGH der Frau kein Recht zu.

BGH entschied: Gegenseitige Rücksichtnahme statt Vorfahrt

Verkehrszeichen 120: beidseitige Fahrbahnverengung

In seinem Urteil vom 08. März 2022, das diese Woche veröffentlicht wurde, erklärte der BGH, dass aus dem Verkehrsschild 120 „beidseitige Fahrbahnverengung“ keine Vorfahrt für den rechtsfahrenden Verkehrsteilnehmer hervorgeht und verweist stattdessen auf § 1 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO): „Bei einer beidseitigen Fahrbahnverengung (Gefahrenzeichen 120 nach Anlage 1 zu § 40 Abs. 6 und 7 StVO) gilt das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme (§ 1 StVO). Ein regelhafter Vorrang eines der beiden bisherigen Fahrstreifen besteht nicht“, steht im Urteil. Dieser Paragraf der StVO fordert die ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht aller Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr.

Nur einseitig verengte Fahrbahn rechtfertig Vorfahrt eines Verkehrsteilnehmers

Beim Zeichen 121 „einseitig verengte Fahrbahn“ sehe es hingegen anders aus. Dann ende nur eine Spur und die andere wird weitergeführt. Dort habe der Verkehrsteilnehmer auf der bestehenden Spur Vorfahrt und das Reißverschlussverfahren nach § 7 Abs. 4 StVO findet Anwendung. Bei einer beidseitigen Fahrbahnverengung räumt die StVO keinem der beteiligten Verkehrsteilnehmer eine automatische Vorfahrt ein, wenn sie sich mit gleicher Geschwindigkeit nebeneinander der Verengung nähern.

Der Grund: Bei der beidseitigen Fahrbahnverengung werden beide Fahrstreifen in einen neuen überführt. Das führe laut den Richtern aus Karlsruhe „zu einer erhöhten Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflicht der auf beiden Fahrstreifen auf die Engstelle zufahrenden Verkehrsteilnehmer“. Die Verkehrsteilnehmer müssen sich daher abstimmen und verständigen, wer zuerst fährt und wer dem anderen den Vortritt lässt. Das rechtsfahrende Fahrzeug hat zumindest keinen automatischen Anspruch auf Vorfahrt, erklären die BGH-Richter.