Abschalteinrichtungen im Dieselskandal: BGH sieht die Beweislast bei VW

Veröffentlicht am in Abgasskandal

Wer hat bei VW die Entscheidung für den Einsatz von unzulässigen Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen getroffen und was wusste der Vorstand? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Dieselverfahren entschieden, dass VW in dieser Frage eine sekundäre Darlegungslast trifft (Az. VI ZR 566/19). Es komme nicht darauf an, welche konkrete Person bei VW das sittenwidrige Verhalten an den Tag gelegt habe, so die Richter. Außerdem habe der Kläger im Gegensatz zu VW keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung.

In dem Verfahren hatte ein Mann geklagt, dessen Mutter 2010 einen neuen VW Eos 2.0 TDI mit einem Dieselmotor EA189 und der Euronorm 5 gekauft hatte. Durch eine Motorsteuerungssoftware wurde bei dem Pkw auf dem Prüfstand eine niedrigere Abgasrückführungsrate bewirkt als im Straßenverkehr. Das Auto konnte die Grenzwerte der Euro-5-Abgasnorm also nur auf dem Prüfstand einhalten.

OLG hat Zurückweisung der Klage fehlerhaft begründet

Wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung forderte der Kläger von VW Schadensersatz in Höhe von 41.000 Euro zuzüglich Verzugszinsen gegen Rückgabe des Fahrzeugs gemäß §§ 826, 31 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Das Landgericht (LG) und das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig hatten die Klage abgewiesen – mit der Begründung, dem Kläger stünden aus abgetretenem Recht weder vertragsrechtliche Ansprüche noch Ansprüche aus Prospekthaftung oder deliktsrechtliche Ansprüche zu. Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB komme schon deshalb nicht in Betracht, weil es an der Darlegung der Verwirklichung des Tatbestands des § 826 BGB durch ein oder mehrere Vorstandsmitglieder fehle.

Diese Begründung lässt der BGH nicht gelten. Die Richter entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB mit der Begründung des OLG nicht verneint werden kann. Fehlerhaft sei die Annahme, es fehle auch dann an einer Sittenwidrigkeit des Tuns von VW, wenn das Fahrzeug mit Billigung des Vorstandsvorsitzenden in den Verkehr gebracht worden sein sollte. Aus der bisherigen BGH-Rechtsprechung ergebe sich, dass in dem Handeln von VW eine sittenwidrige Schädigung der unwissenden Käufer der mangelhaften Fahrzeuge liege.

Zulassungsbehörde und Kunden konnten Abweichungen nicht überprüfen

Es kommt laut BGH also nicht darauf an, welche konkrete Person bei VW ein entsprechendes sittenwidriges Verhalten an den Tag gelegt hat. Grundsätzlich liege die Beweislast bei §§ 826, 31 BGB zwar beim Kläger, so der Senat. In diesem Fall komme jedoch eine sekundäre Darlegungslast ins Spiel, da der Kläger keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung habe. Vielmehr müsse VW hier zumutbare Nachforschungen unternehmen, andernfalls gelte die Behauptung des Anspruchstellers als zugestanden.

In der Urteilsbegründung heißt es dazu: „Angesichts dieses Tatvorwurfs durfte das Berufungsgericht vom Kläger keinen näheren Vortrag dazu verlangen, welche konkrete bei der Beklagten tätige Person ein entsprechendes sittenwidriges Verhalten an den Tag gelegt hat (vgl. Senatsurteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804 Rn. 14 ff.).“

VW trifft die sekundäre Darlegungslast

Der Grundsatz, dass derjenige, der einen Anspruch geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt, erfährt „eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen“, so die Richter.

Durch den Kläger sei hinreichend plausibel dargelegt worden, dass die Entscheidung über die unzulässige Software mit Billigung der ehemaligen Vorstände von VW erfolgt sei. Weitere Ermittlungen seien dem Kläger nicht möglich – wohl aber der beklagten Volkswagen AG. Das Urteil des OLG Braunschweig wurde aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück an das OLG verwiesen.