Audi-Abgasskandal: OLG stuft schadstoffmindernde schnelle Aufwärmfunktion als unzulässige Abschalteinrichtung ein

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Bei mehreren 3,0-Liter-Modellen der Audi AG wird in der Motorsteuerung eine schadstoffmindernde schnelle Aufwärmfunktion genutzt. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main sieht in dieser Funktion eine unzulässige Abschalteinrichtung. Daher haben Audi-Käufer einen Anspruch auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Die Pressestelle des OLG gab am 24. Februar bekannt, dass die Richter den Klägern in zwei verkündeten Urteilen Schadensersatz zugesprochen haben (Az. 4 U 257/19).

Die beiden Kläger hatten von der Audi AG Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Kauf ihrer Audi SQ5 mit der Emissionsklasse Euro 6 gefordert. In den Fahrzeugen wurde ein von Audi selbst hergestellter Motor verbaut. Bereits Anfang 2018 hatte das Kraftfahrtbundesamt (KBA) mitgeteilt, dass dieses Audi-Modell über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Die schadstoffmindernde, sogenannte schnelle Aufwärmfunktion springe nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ an. Im realen Verkehr unterbleibe diese NOx-Schadstoffminderung. An die Kläger hatte die beklagte Audi AG Rückrufschreiben mit dem Hinweis auf ein vom KBA freigegebenes Softwareupdate geschickt.

Grundsatzentscheidung des BGH zum Dieselskandal übertragbar

Die zuständigen Landgerichte Frankfurt am Main und Hanau hatten die Klagen zunächst abgewiesen. Doch in den Berufungsverfahren der Kläger wurde Audi zur Zahlung von Schadensersatz abzüglich einer Nutzungsentschädigung verurteilt – Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

Audi hafte wegen der Entwicklung eines Motors mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegenüber den Fahrzeugkäufern wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, so die Richter des OLG Frankfurt am Main. Die vom Bundesgerichtshof im Mai 2020 zum Dieselskandal in der Grundsatzentscheidung aufgestellten Voraussetzungen seien auf die hier vorliegende Konstellation übertragbar und lägen hier vor.

Audi nutzt versteckte Abschalteinrichtung

Es sei sittenwidrig, ein Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, dessen Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert worden sei, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten würden. Laut den Richtern des OLG Frankfurt am Main liegt hier eine versteckte Abschalteinrichtung vor.

Für die Motoraufwärmfunktion seien Parameter vorgegeben worden, die auf den Prüfstand zugeschnitten gewesen seien und gewährleisten, dass die Funktion dort wirkt. Im realen Straßenbetrieb hat die Funktion jedoch nur dann funktioniert, wenn zufällig der seltene Ausnahmefall der eingegebenen engen Parameter vorgelegen hat. Es könne nicht angenommen werden, „dass die Funktion im realen Straßenverkehr eine echte schadstoffmindernde Wirkung haben sollte“, so die Richter.

Arglistige Täuschung der Zulassungsbehörde

Das von der Audi AG verfolgte Ziel der Gewinnmaximierung werde verwerflich, wenn es auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Behörde, des KBA, erreicht werden solle und mit einer „Gesinnung verbunden ist, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften (…) gleichgültig zeigt“, so die Richter weiter.

Die grundlegende strategische Entscheidung zu Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung sei der Beklagten zuzurechnen. Nach dem unstreitigen Vortrag der jeweiligen Kläger gehen die Richter davon aus, dass sie mit Wissen des vormaligen Vorstands der Beklagten oder zumindest einzelner Vorstandsmitglieder getroffen wurde. Die beiden Kläger können die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die Nutzung des jeweiligen Fahrzeugs verlangen. Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Audi kann die Zulassung der Revision vor dem BGH beantragen.

Audi hat vier Abschalteinrichtungen genutzt

Recherchen des Bayerischen Rundfunks und des Handelsblatts hatten bereits im Sommer 2019 ergeben, dass Audi im Abgasskandal wesentlich umfangreicher manipuliert hat, als bekannt war. Der Ingolstädter Autokonzern hat flächendeckend gleich vier Abschalteinrichtungen genutzt, um auf dem Prüfstand möglichst gute Abgaswerte zu erzielen, während die Audi-Diesel im Straßenverkehr ein Vielfaches der Grenzwerte erreichten.

Das belegen nicht öffentliche Bescheide des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA). Das KBA hat in den Dokumenten jedoch nur eine Strategie als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft: die Aufwärmfunktion. Die anderen drei Abschalteinrichtungen könne Audi freiwillig entfernen. Zudem hatte sich die Flensburger Behörde zum Teil auf Angaben von Audi verlassen, statt selbst Prüfungen durchzuführen. Man habe „nach Aktenlage“ entschieden.

So können sich betroffene Audi-Besitzer wehren

Das aktuelle Urteil des OLG Frankfurt am Main bietet Besitzern von betroffenen Audi-Dieselmodellen eine gute Ausgangsposition, um gegen die Herstellerin auf Schadensersatz zu klagen und eine Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichtlich durchzusetzen. Die Betrugsdiesel können zurückgegeben werden und die Kläger bekommen den Kaufpreis erstattet – abzüglich einer Nutzungsentschädigung, die jedoch in der Regel deutlich unter dem Wertverlust liegt.

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