VW-Abgasskandal: Erstes Urteil vom BGH erwartet

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Es wird spannend: Das erste lang erwartete höchstrichterliche Urteil im VW-Abgasskandal könnte schon morgen verkündet werden. Am 5. Mai beginnt die Aufarbeitung des Dieselskandals vor dem Bundesgerichtshof (BGH), drei weitere Fälle sollen noch vor der Sommerpause verhandelt werden. Ein Urteil könnte es schon am selben Tag geben. Zahlreichen Klägern wurde bereits Schadensersatz zugesprochen. Mit dem BGH-Urteil könnte es für VW und die anderen vom Dieselskandal betroffenen Autokonzerne noch einmal richtig ungemütlich werden, denn die Entscheidung der Bundesrichter dürfte Signalwirkung haben.

Am Dienstag begegnen sich der VW-Konzern und der Rechtsdienstleister MyRight vor Deutschlands obersten Richtern. Erstmalig wird am Bundesgerichtshof über eine Einzelklage im Abgasskandal verhandelt. Der Kläger, Herbert Gilbert aus Rheinland-Pfalz, fordert für seinen 2014 erworbenen Sharan den vollen Kaufpreis in Höhe von 31.500 Euro von Volkswagen zurück. Das Oberlandesgericht Koblenz hatte ihm etwas mehr als 25.600 Euro zugesprochen und die Nutzung des Autos angerechnet. Dagegen hatten beide Parteien Revision eingelegt (Az. VI ZR 252/19).

Geschockt und von VW enttäuscht

Seit 50 Jahren fahre seine Familie VW, berichtet der Kläger Herbert Gilbert der Braunschweiger Zeitung. „VW war immer ein Qualitätsmerkmal, wir waren sehr zufrieden.“ Doch dann der Schock: Es wurde bekannt, dass der VW die Stickoxidmessung von Millionen Dieseln manipuliert hat. Der Sharan sei sein erster Diesel und die höchste Investition, die er je in ein Fahrzeug gesteckt habe.

Damals hatte der Autobauer damit geworben, dass der Sharan der „sauberste“ Diesel sein sollte. „Ich dachte, da kannst du keinen Fehler machen“, so Gilbert. Als die Betrugsmeldung 2015 durch die Medien ging, hatte er zunächst eine Falschmeldung vermutet. Doch ein halbes Jahr später bekam er Post aus Wolfsburg. „Ich war sehr, sehr geschockt und von VW so enttäuscht“, sagt Gilbert. Für ihn sei klar gewesen, dass er dagegen vorgehen muss. Das könne er sich nicht gefallen lassen.

Offene Grundsatzfragen im Abgasskandal

Im Dieselskandal gibt es noch viele offene grundsätzliche Rechtsfragen. Die Musterklage für hunderttausende Dieselfahrer wird nicht mehr vom BGH verhandelt werden: VW und der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) haben sich kurz vor dem Ende der verlängerten Annahmefrist einen Vergleich geeinigt. Etwa 235.000 Kunden bekommen Geld zurück. Daraufhin hat der Verband der Verbraucherzentralen seine Musterfeststellungsklage gegen den Konzern zurückgezogen. In diesen Fällen wird es also kein Urteil geben.

Von dem Vergleich können Dieselfahrer profitieren, die ihren Wagen vor dem 31. April 2015 erworben und sich der Musterfeststellungsklage angeschlossen haben. Laut VW sollen ab dieser Woche insgesamt etwa 750 Millionen Euro ausgezahlt werden. Die VW-Kunden sollen je nach Alter und Typ ihres Fahrzeugs mit Beträgen zwischen 1.350 und 6.250 Euro entschädigt werden. Bundesverbraucherschutzministerin Christine Lambrecht (SPD) sagt dazu: „Es hat sich eindrücklich gezeigt, dass den Verbraucherinnen und Verbrauchern mit der Musterfeststellungsklage auch über eine einvernehmliche Lösung schnell und unkompliziert zu einer Entschädigung verholfen werden kann.“

Verbraucherverband fordert Nachbesserungen

Der vzbv sieht allerdings noch Nachbesserungsbedarf. Das Klageregister, in dem sich geschädigte Kunden für die Musterfeststellungsklage eintragen mussten, sei überflüssig und sorge nur für Bürokratie und Zeitdruck, so vzbv-Chef Klaus Müller. Ohne das Klageregister hätten wahrscheinlich noch viel mehr Menschen von dem Vergleich profitieren können. Zudem wäre es sinnvoll, wenn das zuständige Gericht eine verbindliche Entscheidung zu einer Pflichtschlichtung treffen könnte. „Hier muss der Gesetzgeber nachbessern.“

Mit dem Vergleich ist der Diesel-Skandal allerdings noch lange nicht abgeschlossen. Vor den Gerichten sind noch über 70.000 Verfahren gegen VW anhängig.

Generalanwältin des EuGH hält Abschalteinrichtungen für illegal

Letzte Woche gab es für die geschädigten VW-Kunden eine freudige Überraschung aus Luxemburg: Die Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH) Eleanor Sharpston stellt in ihrem Schlussantrag fest, dass die in Millionen Fahrzeuge eingebauten Abschalteinrichtungen nach EU-Recht unzulässig sind. Die Entscheidung des EuGH zum Thema Abschalteinrichtungen wird in einigen Wochen erwartet.

Ein französisches Gericht hatte einen Fall vorgelegt, in dem es vor allem um die Frage geht, ob VW eine einschlägige EU-Norm eingehalten hat. Die Richter müssen unter anderem entscheiden, ob Käufer der Fahrzeuge über „wesentliche Merkmale“ getäuscht wurden. Zwar hat das Schlussplädoyer der Generalanwältin keine bindende Wirkung, doch die EuGH-Richter sind den Schlussanträgen in den meisten Fällen gefolgt. Das Urteil hätte einen großen Einfluss auf die weiteren Gerichtsverfahren im Abgasskandal.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) begrüßte die Einschätzung der Generalanwältin: „Sollte das Gericht den Anträgen folgen, muss das Kraftfahrtbundesamt alle Bescheide, die nach wie vor Abschalteinrichtungen zulassen, zurücknehmen“, so DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Wenn auch das EuGH die Abschalteinrichtungen als unzulässig einstuft, müssen Fahrzeuge stillgelegt oder mit wirksamer Abgasreinigungstechnik nachgerüstet werden. Laut Resch ein längst überfälliger Schritt für die betroffenen Fahrzeughalter, aber auch für alle, die unter den hohen Schadstoffkonzentrationen in den Städten leiden und gesundheitlichen Schaden davontragen.

Drei weitere Kläger hoffen auf den BGH

Neben Gilbert, dessen Fall morgen vor dem BGH verhandelt wird, fordern drei weitere Käufer eines vom Abgasskandal betroffenen Gebrauchtwagens Schadensersatz von VW. Die obersten Zivilrichter in Karlsruhe wollen vor der Sommerpause drei andere Verfahren in Angriff nehmen. Zwei Verhandlungen wurden für den 21. Juli angesetzt, die dritte für den 28. Juli. Die Kläger wollen ihre mangelhaften Fahrzeuge zurückgeben und den Kaufpreis zurückbekommen.

In dem Verfahren, das am 21. Juli stattfinden soll, hatte einer der Kläger das angebotene Softwareupdate aufspielen lassen (Az. VI ZR 367/19). Der andere Kläger weigerte sich, woraufhin ihm der Betrieb des Fahrzeugs untersagt wurde (Az. VI ZR 354/19). Die beiden Fälle kommen vom Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig. Der Autokäuferin, deren Fall am 28. Juli verhandelt werden soll, hat das OLG Oldenburg Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zugesprochen – zuzüglich sogenannter Deliktszinsen. Die Nutzung des Autos wurde angerechnet (Az. VI ZR 397/19).

Schon 2019 wollten zwei Kläger vor dem Bundesgerichtshof gegen VW vorgehen, haben allerdings einen Rückzieher gemacht. Daraufhin ging der BGH mit einem Hinweisbeschluss an die Öffentlichkeit, in dem er die illegale Abgastechnik bereits als Sachmangel einstuft. Die erwarteten Urteile des BGH dürften also verbraucherfreundlich ausfallen. Andere Gerichte werden den obersten Bundesrichtern folgen und Verbraucher bekommen damit endlich mehr Rechtssicherheit im Abgasskandal.