Fünf Jahre, nachdem der VW-Dieselskandals aufgedeckt wurde, verdichten sich jetzt die Hinweise auf die Nutzung weiterer Abschalteinrichtungen – auch in neueren VW-Motoren. Offenbar werden beim Skandalmotor–Nachfolger EA288 ebenfalls die Abgaswerte manipuliert. VW und auch das Kraftfahrt-Bundesamt beharren allerdings weiter darauf, dass es beim Motor EA288 keine unerlaubten Abschalteinrichtungen gibt. Und das, obwohl es bereits Rückrufe wegen illegaler Abschalteinrichtungen gab – und verbraucherfreundliche Urteile von 16 deutschen Landgerichten.
Seit Bekanntwerden des Dieselskandal wurden in zahlreichen Dieselfahrzeugen verschiedener Hersteller diverse Abschalteinrichtungen entdeckt. Gegen VW und andere Autokonzerne laufen deutschlandweit zehntausende Klagen von Verbrauchern, die ihr Fahrzeug zurückgeben wollen und Schadensersatz fordern – viele mit Erfolg. Jetzt gibt es nach Recherchen von Report Mainz neue Hinweise, dass auch beim Motor mit dem Entwicklungsauftrag (EA) 288 Abschalteinrichtungen eingebaut wurden. Damit droht eine weitere gigantische Klagewelle gegen VW.
Temperaturabhängige Abgasmanipulation: das Thermofenster
Martin Pley, Katalysator-Entwickler und Ingenieur, hat bei einem Golf VII mit dem Motor EA288 mit Euro-5-Norm Abgastests durchgeführt, die Report Mainz mit der Kamera bergleitet hat. Auf Testfahrten lieferten diese Messungen neue Belege dafür, dass der Golf auf der Straße um ein Vielfaches mehr Stickoxide emittiert als auf dem Prüfstand. Und nicht nur das: Die Emissionen lagen sogar deutlich über den Werten, die bei Prüfstandstests zulässig sind. Es stellte sich heraus, dass die sogenannte Abgasreinigung abhängig von der Außentemperatur funktioniert. Das bedeutet: Der VW-Motor EA288 nutzt bei der Abgasreinigung ein sogenanntes Thermofenster.
Pley sagt dazu: „Wir konnten zeigen, dass wir eine temperaturabhängige Regelung der Abgasreinigung haben, was einem Thermofenster entspricht. Und wir haben Stickoxid-Emissionen, die deutlich über dem gültigen Grenzwert liegen.” VW wollte die Messungen nicht kommentieren, weil man deren „Natur“ nicht kenne.
Die Autohersteller nennen solche Abschalteinrichtungen „Thermofenster“. Der europäische Gerichtshof klärt zurzeit, ob solche temperaturabhängigen Abschalteinrichtungen erlaubt sind. Die EuGH-Generalanwältin hält Thermofenster jedenfalls für grundsätzlich illegal.
VW hält Abschalteinrichtungen für legal
Während VW-Chef Herbert Diess noch Ende 2019 behauptet hatte, der Motor EA288 enthalte keine Abschalteinrichtung, überrascht der Konzern jetzt mit der Feststellung, der Motor habe doch eine Abschalteinrichtung, die sei jedoch aus Konzernsicht legal. Die früheren Aussagen hätten sich ausschließlich auf Fahrzeuge mit EA288 mit der Abgasnorm Euro 6 mit dem Zusatz „dTemp“ bezogen, hieß es gegenüber Report Mainz.
In einem internen VW-Dokument, das dem SWR vorlag, ging es aber um Fahrzeuge mit der Abgasnorm Euro 5 und Euro 6 ohne „dTemp“ – also deutlich mehr Modelle. Der Motor EA288 ist in drei Abgasvarianten verfügbar: Euro 5, Euro 6 und Euro 6 d-Temp. Der Großteil Fahrzeuge hat die Abgasnorm Euro 5 und Euro 6, nur knapp zehn Prozent der Fahrzeuge erfüllen die Norm Euro 6 dTemp. In dem brisanten VW-Dokument wird beschrieben, wie die sogenannte Zykluserkennung (das Thermofenster) funktioniert und wie sie die Abgasreinigung verändert.
Kraftfahrt-Bundesamt verstrickt sich in Widersprüche
Vor Gericht beruft VW sich regelmäßig auf Untersuchungen des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA), um seine Unschuld zu belegen. Das KBA hatte den Motor EA288 schon 2016 untersucht. Beim Golf VII mit dem Motor EA288 stellte die Behörde fest, dass das Fahrzeug auf der Straße zehnmal so viele Stickoxide emittiert wie auf dem Prüfstand. Einen Manipulationsverdacht hegte man dort trotzdem nicht. Der VW-Touareg wurde im Abschlussbericht sogar explizit vom Vorwurf der Manipulation freigesprochen. Ein Jahr später gab es trotzdem einen KBA-Rückruf für den VW Touareg. Der Grund: unerlaubte Abschalteinrichtungen! Wie sind solche Widersprüche zu erklären?
Offenbar gar nicht: Auf Anfrage von Report Mainz, wie man sich erklären könne, dass der Golf VII auf der Straße zehnmal mehr Stickoxide ausstößt als auf dem Prüfstand, gab die Bundesbehörde bekannt, „dass keine als unzulässig einzustufenden Abschaltvorrichtungen festgestellt werden konnten“.
Gerichte verurteilen VW zur Rücknahme der manipulierten Fahrzeuge
Die Gerichte beschäftigen sich längst auch mit dem Dieselmotor EA288. Ein Gutachten für das Landgericht Bielefeld kam zu dem Ergebnis, dass beim EA288 eine Abschalteinrichtung vorliegt. Wegen unerlaubter Abschalteinrichtungen haben bereits 16 Landgerichte die Volkswagen AG zur Rücknahme der Fahrzeuge verpflichtet – zuletzt im Oktober 2020 das Landgericht Darmstadt. VW will gegen das Urteil in Berufung gehen.
Wenn der EuGH das Thermofenster demnächst als illegale Abschalteinrichtung einstuft, droht den Autoherstellern eine gigantische Rückrufaktion, denn Zykluserkennungen in Form von Thermofenstern werden in Millionen Dieselfahrzeugen genutzt. Die nächste große Klagewelle rollt an.