Der Dieselskandal hat die Volkswagen AG über 30 Milliarden Euro gekostet. Jetzt verlangt der Konzern von seinen ehemaligen Vorständen und Managern Milliarden an Schadensersatz – wegen Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten. Mit den meisten Führungskräften soll sich VW auf Vergleiche geeinigt haben. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Winterkorn muss „nur“ rund zehn Millionen zahlen. Deutlich größere Summen dürften auf die Haftpflichtversicherer zukommen.
Nachdem VW für den Dieselskandal über 32 Milliarden Euro zahlen musste, will sich der Konzern jetzt einen Teil des Geldes zurückholen: von den ehemaligen Top-Managern, vom Finanzamt und von Versicherungen. Die Ex-Vorstände haben von VW Rechnungen über den Schaden bekommen, den sie angerichtet oder zumindest nicht verhindert haben. In dem Brief an den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn ist von mehr als einer Milliarde Euro die Rede, für die VW eine Entschädigung fordert.
Zahlungen mit Symbolcharakter
Der VW-Konzern Zeit hat sich über fünf Jahre Zeit gelassen, bis er seine ehemaligen Führungskräfte im März dieses Jahres mit Regressansprüchen konfrontiert hat. Mittlerweile wird klar, wie viel Schadensersatz der frühere VW-Konzernchef Martin Winterkorn und weitere Ex-Topmanager im Zusammenhang mit der Dieselaffäre an Volkswagen zahlen sollen. „Der Aufsichtsrat hat in seiner gestrigen Sitzung die wesentlichen Konditionen der Vergleiche beschlossen“, so ein Sprecher. Über einige Details werde allerdings noch gesprochen, daher seien die Verhandlungen noch nicht beendet.
Die Zahlungen, auf die sich die meisten Manager mit VW verständigt haben, sind angesichts der Milliardenverluste durch den Dieselskandals nur von symbolischem Wert. Aus Vertragsentwürfen geht hervor, dass jeder der betroffenen Ex-Vorstände mindestens eine Million Euro an VW überweisen soll, um das dunkle Kapitel zu beenden. Es handelt sich also um Summen, die zwar schmerzen, aber keine Existenzen vernichten. Der langjährige Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn hat sich offenbar bereit erklärt, etwa zehn Millionen Euro Schadensersatz zu zahlen – eine Summe, die er früher in einem Jahr verdient hat. Auch die ehemaligen Top-Manager Rupert Stadler, Ulrich Hackenberg, Wolfgang Hatz und Stefan Knirsch sollen in Regress genommen werden. Ein weit größerer Betrag dürfte allerdings von den Haftpflichtversicherungen gedeckt werden.
Gutachten zur persönlichen Verantwortung der VW-Führungskräfte
Der VW Aufsichtsrat stützt sich bei seinen Forderungen auf Untersuchungen einer Anwaltskanzlei, die Millionen Dokumente, Dateien, Ermittlungsakten und behördliche und gerichtliche Verfahren ausgewertet und mehr als 1500 Interviews und Vernehmungen geführt hat. In dem Gutachten geht es um die persönliche Verantwortung der Top-Manager für den Dieselskandal. Das Ergebnis der Untersuchung lautet fahrlässige Management- und Kontrollversäumnisse der Vorstände – also Verletzung von Sorgfaltspflichten. Der Ex-Vorstandsvorsitzende Winterkorn habe es ab dem 27. Juli 2015 unterlassen, die Hintergründe des Einsatzes unzulässiger Softwarefunktionen in Dieselmotoren unverzüglich und umfassend aufzuklären, so die Juristen. Zudem habe Winterkorn nicht dafür gesorgt, dass die von den US-Behörden gestellten Fragen zum VW-Dieselskandal umgehend wahrheitsgemäß und vollständig beantwortet wurden. Auch dem früheren Audi-Chef Rupert Stadler und weiteren Ex-Vorständen von VW, Audi und Porsche werfen die Gutachter Pflichtverletzungen vor.
Das Aufsichtsratspräsidium von VW wusste allerdings schon unmittelbar nach Bekanntwerden der Abgasmanipulationen im Herbst 2015 „dass Herr Professor Dr. Winterkorn keine Kenntnis hatte von der Manipulation von Abgaswerten”. Auch Winterkorn selbst beteuerte nach dem Bekanntwerden der Schadenersatzforderungen, er habe sich vor dem Auffliegen der Diesel-Affäre im September 2015 korrekt verhalten. Über seine Anwälte teilte er mit, „alles Erforderliche getan und nichts unterlassen zu haben, was dazu geführt hätte, den entstandenen Schaden zu vermeiden oder geringer zu halten“. Ähnlich äußerten sich die anderen betroffenen Vorstände. Bis auf einen sind aber alle Manager bereit, Schadensersatzzahlungen zu leisten. Dadurch vermeiden sie einen langjährigen Zivilprozess, den VW angedroht hatte.
Haftpflichtversicherung soll weitere Millionen zahlen
Laut Business Insider wollen VW und die ehemaligen Manager die Vergleichsverträge in Kürze unterschreiben. Anschließend müssen sie noch von der VW-Hauptversammlung im Juli abgesegnet werden. Teil der Einigung soll ein Deal mit dem Schweizer Versicherer Zurich sein. Sollte alles laufen wie geplant, bekäme VW aus der Haftpflichtversicherung für seine Manager weitere 200 bis 300 Millionen Euro. Der Konzern hatte nämlich für seine Top-Manager eine „Directors-and-Officers-Versicherung“ (D&O-Versicherung) mit einer Deckungssumme von 500 Millionen Euro abgeschlossen.
Ob die Versicherung zahlt, hängt davon ab, ob die jeweilige Führungskraft fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat. Deshalb ist bei den Vorwürfen von VW gegen die Ex-Führungskräfte ausdrücklich nur von Verletzungen der Sorgfaltspflicht die Rede. Strafrechtlich habe sich kein Ex-Manager bei VW, Audi oder Porsche etwas zuschulden kommen lassen.
VW will niemanden in den Ruin treiben
Durch die Vergleiche kann VW im Diesel-Skandal darauf verweisen, seine Ex-Manager zur Verantwortung gezogen zu haben. Der Konzern verlangt also von den Verantwortlichen für den Dieselskandal nur symbolische Summen. VW verweist auf die Lebensleistungen seiner Ex-Manager und darauf, dass man niemanden in den Ruin treiben wolle.
Am Ende kommt Winterkorn mit rund zehn Millionen Euro also noch glimpflich davon. Er und die anderen Top-Manager müssen nichts eingestehen, was ihnen in Strafprozessen schaden könnte. Ob Winterkorn und die anderen ehemaligen Vorstände von den Manipulationen an den Abgassystemen tatsächlich nichts wussten, werden die Gerichte klären. Der Prozess gegen Winterkorn soll im September beginnen.