Zu hohe Stickoxid-Werte: EuGH verurteilt Deutschland

Veröffentlicht am in Abgasskandal

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Deutschland verurteilt, weil in 26 Städten die Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) deutlich überschritten wurden. Damit habe die Bundesrepublik EU-Recht gebrochen. Das entschieden die höchsten EU-Richter am 3. Juni in Luxemburg und folgten damit der Europäischen Kommission, die gegen Deutschland geklagt und dabei auf die Jahre 2010 bis 2016 Bezug genommen hatte. Die Grenzwerte für die schädlichen Stickoxide wurden 2008 beschlossen und gelten seit 2010.

Beträchtliches Ausmaß an Überschreitungen der NO2-Werte

Deutschland hat über Jahre hinweg in zahlreichen deutschen Städten keine geeigneten Maßnahmen ergriffen, um die Überschreitung des Jahresmittelwerts für NO2 zu senken. Das Ausmaß der Überschreitungen, sei in den meisten Gebieten beträchtlich gewesen, so der EuGH. Deshalb gibt der Gerichtshof jetzt einer Vertragsverletzungsklage der EU-Kommission statt (C-635/18). Die Kommission fordert Deutschland auf, alles für Einhaltung der Grenzwerte zu tun. In ihrer Begründung machten die Richter deutlich, dass die Weigerung der Bundesregierung, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Grenzwert so schnell wie möglich einzuhalten, nicht hinnehmbar ist.

Stickstoffdioxide entstehen bei Verbrennungsprozessen in Motoren und durch das Verbrennen von Kohle, Öl, Gas, Holz und Abfällen. Das Jahresmittel für Stickstoffdioxid (NO2) darf laut EU-Beschluss nicht über 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegen. Das Stundenmittel darf höchstens 18-mal im Jahr den Wert von 200 Mikrogramm überschreiten. Neben Deutschland hatte die EU-Kommission 2018 auch Frankreich und Großbritannien verklagt, weil auch diese Länder die Grenzwerte nicht eingehalten haben. Das EU-Recht verlangt, dass solche Überschreitungen so schnell wie möglich beendet werden. Die betreffenden Länder hätten zehn Jahre lang genügend „letzte Chancen“ gehabt, so die Richter.

Deutschland hat nicht rechtzeitig geeignete Maßnahmen ergriffen

Die Luxemburger Richter hoben hervor, dass die Überschreitungen allein nicht zu einer Verurteilung geführt hätten. Deutschland habe allerdings offenkundig „nicht rechtzeitig geeignete Maßnahmen getroffen, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte für Stickoxide in den 26 in Rede stehenden Gebieten so kurz wie möglich gehalten wird“. Zu den betroffenen Städten gehörten Berlin, Hamburg, München und Stuttgart. In zwei Gebieten seien auch Stundengrenzwerte nicht eingehalten worden.

Das Argument Deutschlands, die EU-Kommission habe durch maßgebliche eigene Versäumnisse zum Missstand beigetragen, wiesen die Richter zurück. Deutschland hatte argumentiert, die damals gültige Schadstoffnorm Euro 5 für Dieselautos habe sich als problematisch erwiesen. Der Gerichtshof erklärte dazu, dass Kraftfahrzeuge nicht die einzige Ursache von NO2 seien. Die europäischen Regeln für Kraftfahrzeuge könnten deshalb nicht als Ausrede herhalten und die Grenzwerte für Luftschadstoffe müssten trotzdem eingehalten werden.

Vorerst keine Strafen für Deutschland

Strafen sind mit dem Urteil vorerst nicht verbunden. Wenn der EuGH eine Vertragsverletzung feststellt, kann die Kommission Zwangsgelder beantragen, falls Deutschland die Stickoxid-Grenzwerte weiterhin überschreitet. Strafzahlungen fallen erst an, wenn die EU-Kommission einen erneuten Antrag bei Gericht stellt. Die Luftqualität in deutschen Städten hat sich aber in letzter Zeit verbessert – auch wegen der Corona-Pandemie. 2016 haben laut Bundesumweltministerium 90 Städte die Grenzwerte teils deutlich überschritten. Seitdem seien es immer weniger geworden. 2019 waren es noch 25 Städte und 2020 nur noch sechs, darunter Hamburg und München.

Eine Kommissionssprecherin erklärte in Brüssel, dass bei der Luftverschmutzung die Emissionen älterer Dieselfahrzeuge eine Schlüsselrolle spielen. Bei der Wahl der Mittel für saubere Luft hätten die EU-Staaten freie Hand, die Maßnahmen müssten allerdings wirksam sein und das Problem so schnell wie möglich lösen. Deshalb müssten sie die wichtigsten Ursachen der Emissionen angehen, so die Sprecherin. „Je stärker die Überschreitungen, desto dringender ist die Notwendigkeit, einschneidende Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Bürger zu treffen.“

Umwelthilfe begrüßt das Urteil – sieht aber noch Handlungsbedarf

Die DUH begrüßt die Entscheidung des EuGH als Grundsatzentscheidung zur Luftreinhaltung. Laut DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch habe das höchste europäische Gericht mit seinem Urteil die Rechtsauffassung der DUH bestätigt, „dass Deutschland seit über zehn Jahren systematisch und vorsätzlich europäisches Recht gebrochen hat“. Die Bundesregierungen hätten seit 2010 bewusst eine Politik gegen die Menschen im Land betrieben und ihre Verpflichtung zur Luftreinhaltung ignoriert. Seit 2010 seien nach Berechnungen der Europäischen Umweltagentur allein in Deutschland mehrere hunderttausend Menschen vorzeitig an den Folgen zu hoher Luftbelastung gestorben.

Der Richterspruch aus Luxemburg habe „grundlegende und weitreichende Bedeutung im Kampf für die saubere Luft“. Resch sieht in dem EuGH-Urteil gegen Deutschland wegen zu hoher Luftverschmutzung durch Stickoxide eine „schallende Ohrfeige für die Diesellobbyisten auf der Regierungsbank“ und fordert schnelle Konsequenzen. Dazu gehöre die schnelle Umwidmung von Straßenflächen in geschützte Radwege und eine Stilllegung oder Hardware-Nachrüstung der knapp zehn Millionen „Betrugs-Diesel“ auf Kosten der Hersteller.

Was bedeutet das EuGH-Urteil für Deutschland?

Das aktuell niedrige NO2-Niveau hängt auch mit der stark verringerten Mobilität in der Corona-Krise zusammen. Es ist noch nicht klar, ob der Fortschritt bei der Luftreinhaltung nachhaltig ist. Für das zweite Halbjahr 2021 erwartet die DUH einen deutlichen Anstieg. Deshalb müssen Städte wie München und Stuttgart jetzt kurzfristige Maßnahmen ergreifen, damit die NO2-Grenzwerte endlich eingehalten werden und sich die Luftqualität in deutschen Ballungsräumen verbessert.

Nach diesem Urteil des obersten europäischen Gerichts steht fest, dass die EU-Kommission künftig mehr Druck machen kann. Zwar sind in nächster Zeit keine Strafzahlungen zu erwarten, aber wenn die Maßnahmen für die Luftreinhaltung nicht umgesetzt werden, kann es für Deutschland künftig teuer werden.