Corona: AU-Bescheinigung ab sofort ohne Arztbesuch erhältlich

Veröffentlicht am in Arbeitsrecht

Patienten mit leichten Erkrankungen der oberen Atemwege können neuerdings Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) für bis zu sieben Tage bekommen, ohne eine Arztpraxis aufzusuchen. Eine telefonische Rücksprache mit dem Arzt reicht dafür jetzt aus. Auf diese befristete Ausnahmeregelung haben sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband am 9. März 2020 in Berlin geeinigt. Sie gilt ab sofort.

Voraussetzung dafür ist laut KBV, dass man weder in den letzten 14 Tagen Kontakt zu einer Person hatte, bei der das Coronavirus nachgewiesen wurde, noch sich in einem Gebiet mit Covid-19-Fällen aufgehalten hat. Ärzte dürfen in diesen Fällen nach telefonischer Anamnese eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für bis zu sieben Tage ausstellen und ihren Patienten per Post zusenden.

Entlastung der Arztpraxen und Reduzierung der Ansteckungsgefahr

„Damit wollen wir die Vertragsarztpraxen und Bürgerinnen und Bürger kurzfristig von Arztbesuchen entlasten, die lediglich der Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dienen“, so der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Hofmeister. „Gleichzeitig soll das Risiko für eine vermeidbare Ausbreitung von Infektionskrankheiten der oberen Atemwege über die Wartezimmer der Arztpraxen reduziert werden.“

Bis Mai 2018 war es nicht gestattet, eine AU ohne persönlichen Kontakt auszustellen. Doch dieses Fernbehandlungsverbot wurde gelockert, um im ländlichen Raum Telemedizin und digitale Beratungen zu ermöglichen.

Ist die Beweiskraft der AU jetzt erschüttert?

Aber welchen Beweiswert hat dann die ärztliche AU noch? Diese Frage stellen Arbeitsrechtler in den sozialen Medien. Schließlich wurden die Patienten nicht ärztlich untersucht und der Arbeitgeber muss im Krankheitsfall das Gehalt weiterzahlen. Zweifelt der Chef an einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, kann er Überwachungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen veranlassen. Dafür besteht bei einer ärztlichen AU-Bescheinigung aber in der Regel kein Anlass, denn sie hat einen hohen Beweiswert. Daran ändert sich auch mit der Vereinbarung der Kassen nichts.

Weil auf einer ärztlichen AU kein Befund vermerkt ist und weil daraus auch nicht hervorgeht, ob der Arzt den Patienten persönlich gesehen hat, behält die AU also ihren hohen Beweiswert unverändert. Ab dem 1. Januar 2022 müssen Arbeitnehmer im Krankheitsfall ihren Arbeitgebern übrigens keine AU mehr vorlegen. Das wurde mit dem Bürokratieentlastungsgesetz III beschlossen. Dann können Arbeitgeber bei der zuständigen Krankenkasse elektronische Arbeitsunfähigkeitsmeldungen abrufen.

Welche Aktivitäten sind bei Arbeitsunfähigkeit möglich?

Was bedeutet eine ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit und was ist trotzdem erlaubt – das fragen sich viele Arbeitnehmer nicht erst seit Corona. Welche Tätigkeiten krankgeschriebenen Mitarbeitern gestattet sind, hängt immer von der jeweiligen Erkrankung ab.

Die Rechtsprechung weist darauf hin, dass der Mitarbeiter aufgrund seiner Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem Arbeitgeber dazu verpflichtet ist, während einer Arbeitsunfähigkeit alles zu unterlassen, was die Genesung hinauszögern könnte (Bundesarbeitsgericht (BAG), Urt. v. 11.11.1965, Az. 2 AZR 69/65). Begründet wird das mit der Treuepflicht. Schließlich bedeutet die Entgeltfortzahlung ohne Arbeitsleistung für den Arbeitgeber eine finanzielle Belastung. Der Arbeitnehmer soll deshalb möglichst schnell wieder gesund werden und „genesungswidriges Verhalten“ vermeiden. Was genesungswidrig sein kann, muss im Einzelfall entschieden werden.

Wird ein Mitarbeiter wegen Rückenbeschwerden krankgeschrieben, sind schwere körperliche Arbeiten der Gesundheit vermutlich nicht förderlich. Leichte sportliche Aktivitäten dürften dagegen sogar medizinisch sinnvoll sein und Rückenleiden positiv beeinflussen. In dem Fall wären sie kein Grund für eine Abmahnung oder Kündigung.

Was ist bei Grippe oder Corona erlaubt?

Ist ein Arbeitnehmer wegen einer Erkältung oder eines grippalen Infekts krankgeschrieben, dürfte Bettruhe der Genesung dienlicher sein als ein Partybesuch oder eine Shoppingtour. Dann sollte man sich schonen und das Bett hüten. Ein kurzer Gang zum Arzt, zur Apotheke oder zum Supermarkt ist in dem Fall aber sicher kein Problem.

Wer mit dem Coronavirus infiziert ist, muss wegen der behördlichen Anordnung ohnehin zu Hause bleiben. In diesen Fällen ist also auch der Gang zum Arzt oder zur Apotheke verboten. Wird man aus reiner Vorsicht unter Quarantäne gestellt, weil noch unklar ist, ob man sich infiziert hat, liegt keine Arbeitsunfähigkeit vor, weil der Mitarbeiter nur aufgrund der behördlichen Quarantäneanordnung zu Hause bleiben muss. In dem Fall greift Paragraf 30 des Infektionsschutzgesetzes, der vorgibt, dass Betroffene isoliert werden müssen. Das Gehalt wird bis zu sechs Wochen weitergezahlt – danach gibt es Krankengeld von der Krankenkasse.

Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit

Genesungswidrigen Verhaltens ist also nicht leicht zu beurteilen. Es kommt immer auf die Umstände und die jeweilige medizinische Bewertung an. Wenn einem Arbeitnehmer genesungswidriges Verhalten nachgewiesen werden kann, sind sowohl eine Abmahnung als auch eine verhaltensbedingte fristloste Kündigung arbeitsrechtlich möglich. Ist ein krankgeschriebener Mitarbeiter so fit, dass er anderen Tätigkeiten nachgehen kann, liegt schließlich der Verdacht nahe, dass die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht war – vor allem dann, wenn er während der Krankheit für einen anderen Arbeitgeber oder ein eigenes Gewerbe gearbeitet hat.

Wenn es zu einem Prozess kommt, muss der Arbeitgeber allerdings nachweisen, dass die Krankheit vorgetäuscht war oder dass sich der Arbeitnehmer nicht gesundheitsfördernd verhalten hat – was nicht einfach ist. Gelingt es dem Arbeitgeber, die Beweiskraft einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, muss wiederum der Mitarbeiter beweisen, dass er wirklich krank war.

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