Verhandlung am Bundesgerichtshof – wie die Sparkasse Nürnberg gegen das ewige Widerrufsrecht kämpft

Veröffentlicht am in Bank- und Kapitalmarktrecht

Das Wetter scheint zu den Erfolgschancen der Sparkasse Nürnberg zu passen. Über dem Bibliotheksgebäude des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe haben sich die grauen Wolken zusammengezogen. Kein Sonnenstrahl durchdringt die dicke Wolkendecke. Hier vor dem Bundesgerichtshof (XI ZR 564/15) verhandelt die Sparkasse Nürnberg gegen einen Verbraucher, mit dem sie vor Jahren einen Darlehensvertrag abgeschlossen hat. Dieser widerrief Jahre nach Abschluss des Darlehensvertrages seine auf den Abschluss des Vertrages gerichtete Willenserklärung. Sein Argument: Er sei nie wirksam über den Bestand und den Umfang seines Widerrufsrechts belehrt worden.

Bereits am 23. Mai 2016 hätte der Senat gerne zu einzelnen Fragen des Widerrufsrechts Stellung genommen, erklärt der Vorsitzende Richter Dr. Ellenberger. Doch wie so oft in der Vergangenheit haben die Banken die Revision in letzter Sekunde zurückgenommen, doch nun könnten „spannende Rechtsfragen“ geklärt werden. Ellenberger ist anzusehen, dass er gerne einen „seiner“ Fälle entscheiden würde. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, er sei über die unzähligen Revisionsrücknahmen frustriert. Gleich wird aber Rechtsanwalt Thomas Winter von der Kanzlei Krämer Winter die Gelegenheit erhalten, die Fehler der Bankenbranche zu rechtfertigen.

Ausgangssituation für die Banken ist schlecht

Der Ausgangspunkt scheint schlecht zu sein: Ellenberger führt aus, dass die Belehrung mit den Worten „frühestens“ nicht wirksam sei. Sie gebe dem Verbraucher nur einen Überblick darüber, wann die Widerrufsfrist frühestens beginnt, aber nicht, wann sie tatsächlich beginnt. Und ob der Beginn von weiteren Voraussetzungen abhängt, als bloß von dem Zugang der Widerrufsbelehrung. Aus Sicht des Senats dürfte zu entscheiden sein, ob Abweichungen vom gesetzlichen Muster vorliegen. Wäre dies der Fall, dürfte sich die Sparkasse nicht mehr auf die gesetzliche Fiktion berufen, wonach die Widerrufsbelehrung trotz der unwirksamen „frühestens“-Formulierung wirksam bleiben würde.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, erklärt Ellenberger, ob wirklich jede inhaltliche Veränderung zur Aufhebung des Vertrauensschutzes führen dürfte, oder ob kleinere sprachliche Veränderungen, redaktionelle Eingriffe oder kleine gestalterische Veränderungen noch erlaubt sein dürften. Den Feststellungen der Vorinstanzen seien keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass eine Verwirkung, oder ein Rechtsmissbrauch vorliegen dürfte.

Sparkasse Nürnberg: „Am Anfang steht ein Versagen des Gesetzgebers“

Rechtsanwalt Thomas Winter hat sich unterdessen auf sein Plädoyer vorbereitet und sich erhoben. Er wirft dem Gesetzgeber ein Versagen vor, das nun zu Lasten der Banken ginge. Seiner Meinung nach sei empirisch nicht bewiesen, dass die fehlerhaften Widerrufsbelehrungen dazu geführt hätten, dass der eigentliche Schutzzweck des Widerrufsrechts – nämlich der Schutz davor, übereilte Entscheidungen nochmals zu überdenken – nicht erfüllt wäre.

Wäre dies nämlich der Fall, hätte ein signifikanter Anstieg von Gerichtsverfahren nach Abschluss der Verträge beobachten werden können. Gerade dies sei nicht der Fall.  Überhaupt hätten allen ersten Entscheidungen zum Widerrufsrechts andere Konstellationen zugrunde gelegen, bei denen unstreitig „krasse Abweichungen“ vom gesetzlichen Muster vorlagen. Im vorliegenden Fall müsste sich die Frage gestellt werden, ob eine derartig krasse Abweichung vorläge. An dem Satz, „Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen widerrufen“, hatte die Sparkasse durch eine Fußnote darauf verwiesen, dass die Frist im Einzelfall zu prüfen sei.

Sparkasse Nürnberg: Wir sind auf Rechtssicherheit angewiesen

Winter weist darauf hin, dass der Rechtsbegriff der „Verwendung“ in § 14 InfoV einer genaueren Auslegung bedarf. Neben dem Wortlaut müsste auch der Zweck des § 14 InfoV herangezogen werden, der darin liegt, Rechtssicherheit zu schaffen. Rein redaktionelle oder kleinere sprachliche Veränderungen würden nicht dazu führen, dass die Fiktion nach § 14 InfoV aufgehoben wird. Auch dann hätte die Bank die Musterwiderrufsbelehrung „verwendet“.

Winter schaut immer wieder auf den Innenhof des Bundesgerichtshofs. Noch immer hat kein Sonnenstrahl die dichte Wolkendecke durchbrochen. Auch Winter selbst scheint noch nicht mit seinen Argumenten durchgebrochen zu sein. Man merkt, dass hier ein Anwalt steht, der versucht, die gesamte Bankenbranche zu retten. Der weiß, dass hier nicht nur eine Widerrufsbelehrung der Sparkasse Nürnberg zur Verhandlung steht, sondern eine Widerrufsbelehrung, die deutschlandweit über den Sparkassenverlag über Jahre vertrieben und überall in Deutschland verwendet wurde.

Widerrufsbelehrung für tausende Verträge verwendet

Der Gesetzgeber, meint Winter, habe kein ewiges Widerrufsrecht gewollt. Die Abweichungen in der vorliegenden Widerrufsbelehrung bezeichnet er als „marginal“. Auch eine ordnungsgemäße Nachbelehrung sei für ihn keine wirkliche Option. „Was soll die Sparkasse denn machen? Die falsche Widerrufsbelehrung rausschicken“, fragt er den Senat und erntet dafür nur leere Blicke. Er appelliert an den Senat, über § 242 BGB zu prüfen, ob eine Einzelfallbetrachtung möglich sei. Eine Verwirkung des Widerrufsrechts meint er auch zu erkennen: Hielte der Verbraucher mehr als drei Jahre an dem Vertrag fest und erfülle diesen anstandslos, sei für die Bank davon auszugehen, dass der Verbraucher am Vertrag festhalten will. Er beruft sich dazu auf eine Parallele im Verjährungsrecht.

Rechtsfolgenseite: „Wie soll die Widerlegung gelingen?“

Auch auf der Rechtsfolgenseite greift Winter an. Wird der Vertrag wirksam widerrufen, wandelt sich der ursprüngliche Vertrag nämlich in ein Rückgewährschuldverhältnis um. Die Bank hat dann die vom Verbraucher gezahlten Beträge nebst Zinsen zurückzuzahlen. Zwischen den einzelnen Gerichten ist streitig, mit welchem Zinssatz die Banken diese zu verzinsen hätten. Dabei spricht eine widerlegliche Vermutung zu Ungunsten der Banken, dass diese bei ordnungsgemäßer Wirtschaftung Zinserträge von 2,5 bis 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz erreichen könnten. Winter fragt, wie der Bank die Widerlegung dieser Vermutung gelingen könnte. Hier bestünde ein erheblicher Bedarf an praktikablen Maßstäben, mahnt Winter an.

Rechtsanwalt Kofler, der die Verbraucher vor dem Bundesgerichtshof vertritt, weist darauf hin, dass sich der Gesetzgeber durchaus darüber im Klaren war, dass die Musterwiderrufsbelehrungen nicht ausreichend sein werden und es in der Praxis durchaus zu Problemen kommen könne. Nicht umsonst habe der Gesetzgeber die Fiktionsregelung des § 14 InfoV eingeführt. Ein Darlehensvertrag sei kein notarieller Vertrag, bei dem eine Beratung stattfände, daher sei der Verbraucher umsomehr auf das Widerrufsrecht angewiesen.

Rechtsanwalt Kofler: „Der Belehrung fehlt auch noch die Hausnummer der Sparkasse“

Kofler umschreibt genau, dass die Aufgabe des Verbrauchers nicht sei, Fristen im Einzelfall zu prüfen. Nur weil eine Fußnote verwendet worden sei, sei nicht zugleich ausgeschlossen, dass es sich um eine inhaltliche Veränderung gehandelt haben muss, sagt Kofler. Der Hinweis hätte sich ebensogut im Fließtext befinden können. Auch sei die Widerrufsbelehrung aus anderen Gründen unwirksam: Sie enthalte keine ladungsfähige Anschrift der Sparkasse, denn es würde die Hausnummer fehlen. Dem wird Rechtsanwalt Winter später entgegnen, dass die Anschrift der Sparkasse Nürnberg am Lorenzer Platz gar keine Hausnummer habe.

Ein Blick in das Impressum der Sparkasse Nürnberg zeigt dagegen etwas anderes. Auch ein Blick in eine Karte zeigt, dass der Lorenzer Platz ein wenig größer ist und mehrere Gebäude an dem Platz angrenzen.  Eine Begrenzung des ewigen Widerrufsrechts hält Kofler auch nicht für erforderlich, Verwirkung und rechtsmissbräuchliche Ausübung würden genügend Korrektive bieten. Für eine rechtsmissbräuchliche Rechtsausübung fehlen Kofler sämtliche Anhaltspunkte, da ein Verhalten des Verbrauchers, wonach er unbedingt am Vertrag festhalten wolle, vollkommen fehle. Auch könnten sich die Banken nicht auf ein schützwürddiges Interesse ihrerseits berufen, denn sie würden aufgrund der Entscheidung des Verbrauchers keine schützenswerten Dispositionen treffen.

Ellenberger: „Wir sind dankbar, dass wir nach über einem Jahr diese Rechtsfragen entscheiden durften“

Eingangsbereich am Bundesgerichtshof. Die Revision der Sparkasse wird zurückgewiesen.

Die Verkündungstermine hatte der Bundesgerichtshof auf 16 Uhr angesetzt. Rechtsanwalt Thomas Winter schaut in den Hof des Bundesgerichtshofs, als er auf den Senat wartet. Inzwischen hat sich der Himmel über Karlsruhe aufgedeckt und die Sonne erhellt das Grün der Wiese vor dem alten Palais. Der Vorsitzende Dr. Ellenberger führt aus, dass es sich bei dem Zusatz, die Frist solle im Einzelfall geprüft werden, um einen „gravierenden Fehler“ handeln würde. Einen solchen Fehler habe der Verordnungsgeber nicht im Blick gehabt, als er sich dazu entschlossen habe, die Fiktion nach § 14 InfoV einzuführen. Den Banken und Sparkassen sei das Instrument der Nachbelehrung an die Hand gegebene worden, um solche Fälle mit der erforderlichen Rechtssicherheit zu klären, führt Ellenberger aus. Diese Möglichkeit habe die Sparkasse jedoch im Einzelfall nicht ausgenutzt.

Bundesgerichtshof mahnt an: Sparkasse hatte Möglichkeit zur Nachbelehrung nicht genutzt

In der Sache XI ZR 501/15 hat der Bundesgerichtshof die Sache an das Hanseatische Oberlandesgericht zurückverwiesen. Es wird neue Feststellungen darüber treffen müssen, ob der Vertrag tatsächlich im Rahmen einer Haustürsituation zustande gekommen ist. Dies hatte der Bundesgerichtshof zugunsten des Verbrauchers angenommen, da das Urteil dazu keine eindeutige Aussage enthielt.

Bundesgerichtshof: Auch das Widerrufsrecht kann verwirkt werden

Rechtsirrig habe das OLG Hamburg angenommen, dass bei einem Widerruf aus Gründen, die außerhalb des Schutzzwecks des Widerrufsrechts liegen, per se von einer missbräuchlichen Rechtsausübung auszugehen ist. Liegen die Gründe zum Widerruf außerhalb des Schutzzwecks des Widerrufsrechts, muss nun nach dem Bundesgerichtshof in jedem Einzelfall geprüft werden, ob dennoch eine missbräuchliche Rechtsausübung  vorliegt. Schematische Beurteilungen verbieten sich. Ob eine missbräuchliche Rechtsausübung vorliegt, ist jedoch zunächst wieder eine Frage der Tatrichter.

Bundesgerichtshof dankbar für jede Revision

Abschließend wendet sich Ellenberger persönlich an die Parteienvertreter. Er dankt ihnen dafür, dass sein Senat nach einem Jahr endlich die Möglichkeit hatte, diese Rechtsfragen zu klären.