Urheberrecht: Kein Wegfall des Unterlassungsanspruchs bei missbräuchlicher Abmahnung

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In einer neueren Entscheidung hat sich der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 31. 5. 2012 – I ZR 106/10) mit der Frage befasst, ob eine missbräuchliche Abmahnung wegen einer Urheberrechtsverletzung zu einem Erlöschen des Unterlassungsanspruchs führt.

Urheberrecht: Kein Wegfall des Unterlassungsanspruchs bei missbräuchlicher Abmahnung

Ausgangspunkt ist die Frage, ob die wettbewerbsrechtliche Vorschrift des § 8 Abs. 4 UWG auch im Bereich des Urheberrechts entsprechende Anwendung finden muss.

§ 8 Abs. 4 UWG lautet:

(4) Die Geltendmachung der in Absatz 1 (Beseitigung und Unterlassung) bezeichneten Ansprüche ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen.

Das OLG Hamm hatte in der Vorinstanz die Auffassung vertreten, dass es für die Frage des Rechtsmissbrauchs im Urheberrecht – wie im Wettbewerbsrecht – nicht allein auf die gerichtliche Inanspruchnahme, sondern auch, und zwar entscheidend, auf die Abmahnung ankomme.

Sei die Abmahnung missbräuchlich, erlösche der Unterlassungsanspruch und sei eine Unterlassungsklage mangels Klagebefugnis selbst dann unzulässig, wenn sie nur in eingeschränktem Umfang erhoben werde.

Der BGH ist dieser Ansicht jedoch nicht gefolgt. Danach führt eine missbräuchliche Abmahnung wegen einer Urheberrechtsverletzung nicht zum Erlöschen des Unterlassungsanspruchs aus § 97 Abs. I UrhG und zur Unzulässigkeit einer nachfolgenden Klage. Eine entsprechende Anwendung des § 8 Abs. 4 UWG im Urheberrecht kommt nicht in Betracht, weil keine planwidrige Regelungslücke besteht.

Der Gesetzgeber hat sich bewusst gegen die Einführung einer dem § 8 Abs. 4 UWG entsprechenden Missbrauchsvorschrift im Urheberrechtsgesetz entschieden. Nach Auffassung des BGH kommt jedoch auch für urheberrechtliche Ansprüche das allgemeine Verbot unzulässiger Rechtsausübung nach BGB § 242 BGB zum Tragen, auf dessen Grundgedanken auch der § 8 Abs. 4 UWG beruht. Allerdings bestehen zwischen den beiden Rechtsgebieten relevante Unterschiede. So führt der BGH aus:

Dieser Grundsatz kann nicht ohne Weiteres auf das Urheberrecht übertragen werden. Der Regelung des § 8 Abs. 4 UWG kommt neben der Aufgabe der Bekämpfung von Missbräuchen bei der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen auch die Funktion eines Korrektivs gegenüber der weit gefassten Anspruchsberechtigung nach § 8 Abs. 3 UWG zu. Nach § 8 Abs. 3 UWG kann ein und derselbe Wettbewerbsverstoß durch eine Vielzahl von Anspruchsberechtigten verfolgt werden.

Dies erleichtert zwar die im Interesse der Allgemeinheit liegende Rechtsverfolgung; die Fülle der Anspruchsberechtigten kann aber den Anspruchsgegner in erheblichem Maße belasten, so insbesondere dadurch, dass der Wettbewerbsverstoß zum Gegenstand mehrerer Abmahnungen und gerichtlicher Verfahren gemacht werden kann.

Umso wichtiger ist es, dass die Regelung des § 8 Abs. 4 UWG immer dann eine Handhabe bietet, wenn wettbewerbsrechtliche Ansprüche auf Beseitigung oder Unterlassung missbräuchlich geltend gemacht werden, insbesondere wenn sachfremde Ziele die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung darstellen.

Das Interesse der Allgemeinheit an der wirksamen Verfolgung von Wettbewerbsverstößen wird dadurch nicht wesentlich beeinträchtigt. Ist ein einzelner Anspruchsteller wegen missbräuchlichen Verhaltens von der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs ausgeschlossen, kann der Unterlassungsanspruch gleichwohl von anderen Anspruchsberechtigten geltend gemacht werden.

Bei der Verletzung des Urheberrechts oder eines anderen nach dem Urheberrechtsgesetz geschützten Rechts ist dagegen allein der Verletzte berechtigt, Ansprüche geltend zu machen (§ 97 UrhG). Die Berechtigung zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen besteht nicht auch im Interesse der Allgemeinheit, sondern allein im Interesse des Verletzten.

Hätte eine missbräuchliche Abmahnung zur Folge, dass der Verletzte seine Ansprüche auch nicht mehr gerichtlich geltend machen könnte und eine nachfolgende Klage unzulässig wäre, müsste er die Rechtsverletzung endgültig hinnehmen. Für eine so weitgehende Einschränkung seiner Rechte gibt es keinen sachlichen Grund. Insbesondere bedarf es im Urheberrecht keines Korrektivs gegenüber einer weitreichenden Anspruchsberechtigung einer Vielzahl von Anspruchsberechtigten.

Die Entscheidung des BGH überzeugt. Eine Anwendung der Missbrauchsvorschriften auch im Urheberrecht ist vor allem im Hinblick auf die unterschiedlichen Schutzrichtungen nicht geboten. Es erscheint nicht gerechtfertigt, dem Rechtinhaber die gerichtliche Geltendmachung bei Verletzung seiner höchstpersönlichen Rechtsgüter zu versagen, auch wenn die vorherige Abmahnung missbräuchlich war.

§ 97a Abs. 1 Satz UrhG bestimmt ohnehin, dass der Rechteinhaber den Ersatz der für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen erforderlichen Aufwendungen nur verlangen kann, soweit die Abmahnung berechtigt war. Verfolgt der Kläger ein missbräuchliches Kostenbelastungsinteresse, verbleibt somit die Möglichkeit, ihm die Erstattung der außergerichtlichen Kosten zu versagen.