Wer eine Reise storniert, hat Anspruch auf eine Erstattung der Kosten. Doch in der Coronakrise wollen viele Veranstalter ihren Kunden lieber Gutscheine anbieten. Damit Reiseveranstalter und Reisebüros nicht massenhaft Insolvenz anmelden müssen, plädiert auch der Deutsche Reiseverband (DRV) für eine Gutscheinregelung. Am 8. April wurde die Regelung vom Bundeskabinett beschlossen und soll jetzt der EU-Kommission vorgelegt werden. Müssen Verbraucher Reisegutscheine akzeptieren?
Die Tourismus- und die Veranstaltungsbranche gehörten zu den ersten, die unter der Coronakrise zu leiden hatten. Großevents wurden abgesagt, weltweite Reisewarnungen ausgesprochen und gebuchte Reisen storniert. Die Veranstalter machen so gut wie keinen Umsatz mehr und müssen auch noch Geld für bereits bezahlte Reisen zurückbuchen. Harte Zeiten für die beiden Branchen. Aber können die Kosten einfach den Verbrauchern aufgebürdet werden? In über zwei Dritteln aller Anfragen, die zurzeit bei Verbraucherzentralen eingehen, geht es jedenfalls um Reiserecht und abgesagte Veranstaltungen.
Verbraucher sollen Kosten tragen
Die Gutscheinlösung funktioniert so: Um die Branche zahlungsfähig zu halten, sollen Reiseveranstalter für stornierte Reisen Gutscheine auszahlen, die bis Ende 2021 gültig sind und für neue Buchungen genutzt werden können. Auch Reisebüros müssten dann ihre bereits erhaltenen Provisionen nicht zurückzahlen. Erst ab 2022 könnten Kunden sich den Wert des Gutscheins in bar erstatten lassen.
Der Kunde müsste dem Unternehmen also einen Zwangskredit geben und seine Reise bei demselben Anbieter buchen. Ein Zwangskredit widerspricht aber dem Grundgedanken des Zivilrechts, demzufolge es Geld nur gegen Leistung gibt. Außerdem dürften viele Kunden das Geld in der Coronakrise auch für eigene Ausgaben benötigen.
Verbraucherschützer gegen „Zwangsgutscheine“
Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv), weist die Gutscheinregelung zurück: „Hier werden die Kosten der Coronakrise einfach an die Verbraucher durchgereicht.“ Es handele sich um „Zwangsgutscheine“, denn das Geld der Verbraucher werde für fast zwei Jahre eingefroren – ohne Verzinsung. Außerdem würden Urlaubsreisen in Zukunft vermutlich teurer, weil es weniger Angebote gebe. „Wenn die Preise steigen, wird der Gutschein abgewertet und Verbraucher müssen für die gleiche Leistung draufzahlen“, so Müller. Das sei für manche finanziell nicht tragbar.
Die Bundesregierung hat zugesagt, die Gutscheine für Pauschalreisen gegen eine Insolvenz des Reiseveranstalters abzusichern; auch eine Härtefallregelung für Kunden in finanziellen Notlagen ist geplant. Wie die allerdings genau aussieht, ist noch nicht geklärt. Einzeln gebuchte Flüge und Hotels sind von der staatlichen Insolvenzsicherung ausgenommen und auch für Veranstaltungstickets gilt sie nicht.
Nur Pauschalreisende wären vor Insolvenz geschützt
Laut Müller gebe es dadurch „Verbraucher erster und zweiter Klasse“. Alle Verbraucher wären von der Regelung betroffen, aber nur Pauschalreisende bekämen den Schutz, dass ihr Geld bei einer möglichen Insolvenz nicht verloren geht. Der Verbraucherschützer rät Betroffenen, sich zeitnah mit ihrem Reiseveranstalter in Verbindung zu setzen – aber das ist offenbar nicht einfach: „Viele Verbraucher berichten uns, dass sie niemanden erreichen können.“
Zugespitzt wird die Situation durch die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes, die zunächst bis Ende April gilt, aber vermutlich verlängert wird. Auch das trägt zur Verunsicherung bei: Wer für Mai und Juni einen Urlaub gebucht hat, weiß jetzt nicht, ob er ihn überhaupt antreten kann. Und wer aus eigenem Antrieb eine Reise storniert, muss das Risiko von Stornokosten selbst tragen. Deshalb rät Müller betroffenen Urlaubern, erstmal abzuwarten, wie sich die Situation entwickelt.
EU-Recht verlangt Kostenerstattungen
Die EU-Kommission hält noch am Anspruch auf Kostenerstattung fest. Der für Verbraucherschutz zuständige EU-Kommissar Didier Reynders sagte dem belgischen Nachrichtensender LN24: „Wir haben die Airlines und Reiseveranstalter an ihre Pflicht erinnert, die Verbraucher zu entschädigen.“ Zwar rät er Verbrauchern, Gutscheine anstelle einer Erstattung zu akzeptieren, doch Fluggesellschaften können die Kostenerstattungen gemäß europäischem Recht nicht verweigern.
Verbrauchern müsste allerdings klar sein, dass bei vermehrten Firmenpleiten, das Recht auf Rückerstattung nicht mehr viel wert sei, so Reynders weiter. Deshalb arbeite die Kommission derzeit an einem System abgesicherter Gutscheine: Die Mitgliedstaaten sollen Fonds auflegen, um die Auszahlung von Reisegutscheinen im Fall einer Insolvenz zu gewährleisten.
Kunden dürfen nicht die Leidtragenden sein
Der Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch wandte sich gegen die von der Bundesregierung geplante Gutscheinlösung. „Die Bundesregierung lässt viele Reisekunden im Regen stehen. Der Gutscheinzwang darf so nicht bleiben. Es kann nicht sein, dass die Kunden den Rettungsschirm für die Reisebranche finanzieren müssen.“ Auch wenn sich die Reisebranche in einer schweren Krise befinde, dürften die Kunden nicht die Leidtragenden sein. „Sie haben Reisen im Vertrauen auf das bestehende Recht gebucht. Gutscheine müssen eine freiwillige Option bleiben.“
Bartsch fordert ein Bundesprogramm für die Reisebranche. „Viele Kunden brauchen das Geld, um über die nächsten Monate zu kommen.“ Die Bundesregierung dürfe nicht einseitig Position zwischen Kundeninteressen und Branchenlobbyismus beziehen.
DRV hofft auf Solidarität der Verbraucher
Der Deutsche Reiseverband appelliert an die Solidarität der Verbraucher: „Die gegenwärtige Krise konnte niemand vorhersehen, wir müssen jetzt also mit der Situation klarkommen“, sagt Torsten Schäfer vom DRV. Wenn alle ihr Geld für stornierte Reisen und Veranstaltungen zurückverlangten, breche das ganze System zusammen und die Kunden gingen leer aus, weil die Anbieter Insolvenz anmelden müssen.
Das Gutscheinmodell ist eine Lösung, von der alle Beteiligten profitieren könnten: Veranstalter, Reisebüros und Kunden. Aber es sollte auf Freiwilligkeit basieren und nicht zum staatlich verordneten Zwangskredit werden. Bei kleinen Theatern, Kinos, Restaurants und Lieblingsläden funktioniert das Solidaritätsprinzip ja bereits – allerdings geht es dabei meistens um kleinere Beträge.