Experten kritisieren die StVO-Novelle

Veröffentlicht am in Verkehrsrecht

Mit einer Novelle der StVO will das Verkehrsministerium die Straßen noch sicherer, klimafreundlicher und gerechter machen. Die angedachten Maßnahmen der Bundesregierung stoßen bei Experten allerdings zum Teil auf Ablehnung. Große Kritik gab es in einer Anhörung im Bundestag an den geplanten Regelungen für Fahrradfahrer. Auch die neue Abbiegeregelung für Lkw wurde skeptisch aufgenommen. Statt lediglich ein Abbiegen in Schrittgeschwindigkeit vorzuschreiben, sei für Fahrzeuge oberhalb von 3,5 Tonnen eine verpflichtende Einführung des Abbiegeassistenzsystems angebracht.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) fasst die Ziele der Bundesregierung wie folgt zusammen: „Wer die Mobilität der Zukunft will, muss jetzt notwendige Anpassungen vornehmen. Es gibt einiges zu tun, um unsere Straßen noch sicherer, klimafreundlicher und gerechter zu machen! Wir machen Radfahren sicherer. Wir wollen Fahrgemeinschaften besserstellen für klimafreundlichere Mobilität. Wir finden es gerecht, dass jeder, der die Rettungsgasse blockiert, hart bestraft wird – denn hier geht es um Leib und Leben. Mit unserer notwendigen StVO-Novelle werden wir auf die Länder zugehen.“

Welche Neuerungen sind geplant?

Mit der StVO-Novelle sollen unter anderem die Geldbußen für das Parken in zweiter Reihe, auf Geh- und Radwegen und das Halten auf Schutzstreifen auf bis zu 100 Euro erhöht werden. Außerdem ist ein Mindestüberholabstand von 1,5 Metern innerhalb von Ortschaften und von zwei Metern außerhalb von Ortschaften für das Überholen von Fußgängern und Radfahrern vorgesehen.

Die Grünpfeilregelung soll auf Radfahrer ausgeweitet werden. Der grüne Pfeil für Rechtsabbieger gilt künftig für Radfahrer, die von einem Radfahrstreifen oder Radweg rechts abbiegen wollen. Außerdem wird ein Grünpfeil speziell für Radfahrer eingeführt und Radfahrer dürfen in Zukunft nebeneinander fahren, wenn der Verkehr dadurch nicht behindert wird. Kommunen wird gestattet, Fahrradzonen einzuführen und auf Schutzstreifen für den Radverkehr soll ein generelles Halteverbot gelten.

Kraftfahrzeuge über 3,5 Tonnen dürfen nach der Novelle innerorts nur in Schrittgeschwindigkeit rechts abbiegen – das sind 7 bis 11 km/h. Ansonsten drohen 70 Euro Bußgeld und ein Punkt in Flensburg.

Wer keine Rettungsgasse bildet oder sie selbst nutzt, muss mit bis zu 320 Euro Geldstrafe, zwei Punkten in Flensburg und einem Monat Fahrverbot rechnen. Werden Notbrems-Assistenten ab Tempo 30 vom Fahrer abgeschaltet, drohen 100 Euro Bußgeld und ein Punkt in Flensburg.

Pkw mit mehr als drei Mitfahrern und E-Tretroller sollen künftig auf Busspuren fahren dürfen und Carsharing-Fahrzeuge können auf extra ausgewiesenen Parkplätzen parken. Damit soll diese Form der Mobilität besonders gefördert werden. Eingeführt wird auch ein neues Symbol, das Carsharing-Fahrzeugen bevorrechtigtes Parken anzeigt. Ein Ausweis, den Carsharing-Nutzer gut sichtbar hinter die Windschutzscheibe legen, soll Carsharing-Fahrzeuge kennzeichnen.

Regelungen für Radfahrer und Lkw unzulänglich

Laut Siegfried Brockmann, dem Leiter der Unfallforschung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, verschärfen die Neuerungen eher den Konflikt zwischen Radfahrern und Autofahrern. Den Abbiegepfeil für Radfahrer bezeichnete er als komfortabler für Radfahrer, er bringe allerdings keinen Sicherheitsgewinn für Fußgänger.

Andre Skupin von der Dekra Automobil GmbH bewertete die Regelung kritisch, nach der Radfahrer an Kreuzungen an haltenden Fahrzeugen rechts vorbeifahren dürfen, wenn „ausreichend Platz“ vorhanden sei. Der Abstand solle mit mindestens 1,5 Metern klar definiert werden. Um Abbiegeunfälle mit Lkws zu verhindern, werde für Fahrzeuge oberhalb von 3,5 Tonnen das Abbiegeassistenzsystem benötigt. Die Systeme seien verfügbar und könnten nachgerüstet werden.

Bürgerverein fordert Tempo 30

Isabell Eberlein vom Verein Changing Cities forderte, dass Verkehrssicherheit und Klimaschutz in Zukunft zusammengedacht werden. Derzeit werde das Auto in der StVO mit Vorrang bedacht, die Verkehrsarten müssten aber gleichgestellt werden. Es sollte deutschlandweit innerorts eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h gelten, statt nur in Ausnahmefällen. So könne die Aggressivität im Straßenverkehr gesenkt werden. Eine Umkehr der geltenden Regelung schlug sie auch für das Parken im öffentlichen Raum vor, das grundsätzlich verboten und nur bei spezieller Beschilderung erlaubt sein sollte.

Christian Kellner vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat merkte dazu an, dass die Überlebenschance für Fußgänger bei einer Kollision mit einem Auto bei Tempo 30 deutlich höher sei als bei Tempo 50. Für eine bundesweite Regelung für Tempo 30 brauche es jedoch mehr Forschung in festgelegten Modellregionen. Er plädierte dafür, dass die Kommunen eigenständig mehr Tempo 30-Zonen ausweisen können.

Markus Schäpe vom ADAC hält ein absolutes Halteverbot in zweiter Reihe und auf Fahrradschutzstreifen für problematisch. Es sei dann zum Beispiel nicht mehr möglich, betagte und gehbehinderte Menschen bis vor die Arztpraxis zu fahren und dort aussteigen zu lassen. Auch Paketauslieferer könnte eine solche Regelung stark behindern.

Rad- und Fußverkehr nicht gegeneinander ausspielen

Wenn man den Radverkehr tatsächlich verdreifachen oder gar vervierfachen will, muss er viel sicherer werden, so Burkhard Stork vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC). Er warnte davor, Radverkehr und Fußverkehr gegeneinander auszuspielen. Eine Verschlimmbesserung sei es, wenn man sein Fahrrad nicht mehr am Straßenrand abstellen könne.

Der Stadtforscher Tilman Bracher vom Deutschen Institut für Urbanistik hält die Einführung eines Verkehrszeichens für Fahrradzonen für überflüssig. Fahrradstraßen seien streckenbezogen im Zuge von Fahrradrouten sinnvoll, jedoch nicht im Zuge einer Zonenregelung. Alternativ könne man Radfahrern in Tempo-30-Zonen generell gestatten, nebeneinander zu fahren. Diese Regelung sei wesentlich einfacher vermittelbar und würde ohne zusätzlichen Beschilderungsaufwand zum gleichen Ergebnis führen.

Busspuren müssen frei bleiben

Der Deutsche Städtetag hält die Vorschläge zur Nutzung von Busspuren für Pkws mit drei und mehr Insassen für lebensfremd. Der Verband befürchtet, dass die Busspuren dann nicht mehr nur von Bussen benutzt werden würden, sondern auch von vielen Minibussen mit genehmigter Personenbeförderung. Auf den Busspuren sei kein Platz für zusätzliche Pkws.

Um die Vorschrift von der Theorie auf die Straße zu bringen, müsste die Anzahl der Insassen zudem überprüft werden. Das sei ein „fruchtloses Unterfangen“. Es könnten auch Autos mit weniger als drei Insassen auf die Busspur ausweichen und so die Unfallgefahr erhöhen. Busspuren hätten außerdem häufig Sonderampeln, die nur für den ÖPNV bestimmt sind.

Kerstin Hurek vom Auto Club Europa (ACE) kritisierte die geplante Freigabe der Busspuren für Pkw mit mehr als drei Insassen und Elektrokleinstfahrzeuge wie E-Scooter. Die Freigabe der Busspuren für Pkw mache den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) unattraktiver und die Unfallgefahr werde erhöht.

Vorfahrt für Bus und Bahn ist die einzige richtige Anwort auf die Mobilität der Zukunft. Deshalb muss der ÖPNV gestärkt und nicht geschwächt werden.

Ab wann gelten die Änderungen?

Die Änderungsverordnung soll baldmöglichst in Kraft treten – voraussichtlich schon in diesem Jahr. Die Länder müssen im Bundesrat der Änderungsverordnung noch zustimmen. In einem zweiten Schritt plant die Bundesregierung weitere Änderungen, unter anderem in der begleitenden Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO.