Bundesverfassungsgericht bestätigt ewiges Widerspruchsrecht bei Lebensversicherungen

Veröffentlicht am in Versicherungsrecht

Das Bundesverfassungsgericht musste sich kürzlich mit der Frage auseinandersetzen, ob die Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. verfassungsrechtlich zulässig ist. Denn damit verbunden ist die Einräumung eines „ewigen“ Widerspruchsrechts für Lebensversicherungen, wenn Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht belehrt wurden oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten haben. Nun liegt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vor.

Lebensversicherung nach dem Policenmodell

Betroffen von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sind Versicherungsnehmer, die eine Versicherung nach dem Policenmodell abgeschlossen haben. Das Policenmodell beschreibt eine Verfahrensvariante zum Abschluss eines Versicherungsvertrags, die in den Jahren 1994 bis 2007 bei fast allen Lebensversicherungsverträgen angewendet wurde.

Bei Abschluss eines Versicherungsvertrags nach besagtem Modell wurden dem Versicherungsnehmer die Verbraucherinformationen über die maßgebenden Rechte und Pflichten des Versicherungsverhältnisses und die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) erst zusammen mit dem Versicherungsschein übermittelt. Erst dann galt der Vertrag als wirksam abgeschlossen. Der Versicherungsnehmer konnte schriftlich Widerspruch gegen den Vertrag erheben. Die Frist betrug 14 Tage, allerdings erst ab Erhalt der Belehrung. Heute werden Verträge nach dem sogenannten Antragsmodell geschlossen. Ein Widerspruchsrecht gibt es nicht mehr. Stattdessen gibt es heute ein Widerrufsrecht.

Versicherungsnehmer klagten auf Widerrufsrecht

Die Versicherungsnehmer hatten 1999 und 2003 im Wege des Policenmodells gem. § 5a VVG alte Fassung fondsgebundene Lebensversicherungen sowie eine fondsgebundene Rentenversicherung abgeschlossen. Diesen Verträgen widersprachen sie im Jahre 2010 bzw. 2013 nach § 5a VVG alte Fassung. Die Klagen waren unter anderem auf die Rückzahlung der den Rückkaufswert übersteigenden, von ihnen gezahlten Versicherungsprämien gerichtet und hatten vor dem BGH teilweise Erfolg.

BGH: § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG ist richtlinienkonform einzuschränken

Der BGH vertrat die Auffassung, dass die beiden Kläger nicht ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht belehrt wurden und ihnen daher die geforderten Ansprüche gestattet werden müssen. Zwar sieht § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. vor, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt, allerdings sind die Widersprüche der Kläger rechtzeitig erfolgt, da keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung stattgefunden hat.

Folglich wurde nie eine Widerspruchsfrist in Lauf gesetzt. Das ergibt sich auch aus der richtlinienkonformen Auslegung von § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. Die Jahresfrist für das Erlöschen des Widerspruchsrechts ist aus diesem Grund nur auf Versicherungen anderer Art (Sachschadenversicherungen) anwendbar. Gegen die Urteile des Bundesgerichtshofs legten die beklagten Versicherungen Verfassungsbeschwerde ein. Sie rügten die Nichteinhaltung der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und Gesetzesbindung aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG.

Bundesverfassungsgericht: Einschränkung von § 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ist zulässig

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23.05.2016 entschieden, dass die partielle Nichtanwendung von § 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. im Bereich von Lebensversicherungen verfassungsrechtlich zulässig ist. Damit bestätigte das Gericht die vorausgegangenen Entscheidungen des BGH und wies die Verfassungsbeschwerden zurück. Zur Begründung seiner Entscheidung brachte das Bundesverfassungsgericht vor, dass der BGH die verfassungsrechtlichen Grenzen der richterlichen Rechtsfindung wahrt. Eine Verletzung der Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG ist nicht erkennbar. Der BGH hat dem Willen des Gesetzgebers entsprochen. Auch der Sinn und Zweck der Regelung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. wurde ausreichend berücksichtigt, insbesondere unter Beachtung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung der Richtlinien zur Lebensversicherung. Außerdem hält das Bundesverfassungsgericht es für vertretbar an, dass der BGH davon ausgegangen ist, dass die Regelung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. dem Ziel der Umsetzung der Dritten Richtlinie Lebensversicherung entgegensteht. Der BGH hat nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in vertretbarer Weise gebraucht und die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung eingehalten.

Fazit

Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts steht nun fest, dass ein ewiges Widerrufsrecht für Lebensversicherungen existieren kann. Der Anwendungsbereich des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. kann durchaus eingeschränkt werden. Grundsätzlich erlischt gem. § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. die Widerspruchsfrist ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie. Allerdings gilt diese Frist nach dem aktuellen Urteil nur noch für Versicherungen anderer Art (Sachschadenversicherungen), nicht aber für Lebensversicherungen, die nach dem Policenmodell geschlossen wurden. Diesbezüglich besteht ein ewiges Widerrufsrecht.