Keine Ausnahme für EU-Versandapotheken, sie unterliegen deutscher Arzneimittelpreisbindung!

Veröffentlicht am in Wettbewerbsrecht

Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat letzte Woche entschieden, dass die deutschen Preisvorschriften grundsätzlich auch dann gelten, wenn verschreibungspflichtige Arzneimittel von einer Versandapotheke mit Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union an Endverbraucher in Deutschland abgegeben werden (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 22. August 2012 – GmS-OGB 1/10).

Sachverhalt

Die Beklagte, eine in den Niederlanden ansässige Apotheke, hatte im Wege des Internet-Versandhandels Medikamente für den deutschen Markt angeboten und mit einem Bonussystem geworben, nach welchem der Kunde beim Kauf verschreibungspflichtiger Medikamente auf Kassenrezept einen Bonus von 3% des Warenwertes, mindestens aber 2,50 € und höchstens 15,00 € pro verordneter Packung erhalten sollte. Der Bonus sollte unmittelbar mit dem Rechnungsbetrag oder im Rahmen einer künftigen Bestellung verrechnet werden. Die Klägerin, Betreiberin einer Apotheke im Inland, war darüber wenig erfreut und sah in dem Verhalten der Beklagten einen Verstoß gegen die im Arzneimittelrecht für verschreibungspflichtige Arzneimittel geltenden Preisbindungsvorschriften. Sie hatte daraufhin die beklagte Versandapotheke auf Unterlassung der Ankündigung und Gewährung der Boni in Anspruch genommen.

Entscheidung

Der I. Zivilsenat des BGH sah sich dazu veranlasst, die Frage dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Entscheidung vorzulegen, da er sich durch eine Entscheidung des 1. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) gehindert sah, die Anwendung der deutschen Preisvorschriften anzunehmen. Der 1. Senat des BSG hatte nämlich im Jahre 2008 in einem anderem Zusammenhang entschieden, dass das deutsche Arzneimittelpreisrecht nicht für Versandapotheken gelten würde, die aus dem europäischen Ausland Arzneimittel an deutsche Verbraucher verschicken. Der Gemeinsame Senat hat daraufhin entschieden, dass die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage darstellen, um ausländische Versandapotheken, die verschreibungspflichtige Arzneimittel im Inland an Endverbraucher abgeben, deutschem Arzneimittelpreisrecht zu unterwerfen. Dies ergibt sich insbesondere aus § 78 Abs. 1 und 2 AMG:

(1) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium und, soweit es sich um Arzneimittel handelt, die zur Anwendung bei Tieren bestimmt sind, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

 1. Preisspannen für Arzneimittel, die im Großhandel, in Apotheken oder von Tierärzten im Wiederverkauf abgegeben werden,

2. Preise für Arzneimittel, die in Apotheken oder von Tierärzten hergestellt und abgegeben werden, sowie für Abgabegefäße,

3. Preise für besondere Leistungen der Apotheken bei der Abgabe von Arzneimitteln

festzusetzen. Abweichend von Satz 1 wird das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, den Festzuschlag entsprechend der Kostenentwicklung der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung anzupassen. Die Preisvorschriften für den Großhandel aufgrund von Satz 1 Nummer 1 gelten auch für pharmazeutische Unternehmer oder andere natürliche oder juristische Personen, die eine Tätigkeit nach § 4 Absatz 22 ausüben, bei der Abgabe an Apotheken, die die Arzneimittel zur Abgabe an den Verbraucher beziehen.

(2) Die Preise und Preisspannen müssen den berechtigten Interessen der Arzneimittelverbraucher, der Tierärzte, der Apotheken und des Großhandels Rechnung tragen. Ein einheitlicher Apothekenabgabepreis für Arzneimittel, die vom Verkehr außerhalb der Apotheken ausgeschlossen sind, ist zu gewährleisten. Satz 2 gilt nicht für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden.

[…]“

Weder das primäre noch das sekundäre Unionsrecht steht diesem Ergebnis entgegen. Die deutsche Regelung verstößt nicht gegen die Warenverkehrsfreiheit und es handelt sich nicht um eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 34 AEUV:

„Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung sind zwischen den Mitgliedstaaten verboten.“

Wann liegt eine Maßnahme gleicher Wirkung vor?

Wann eine „Maßnahme gleicher Wirkung“ vorliegt, wurde vom EuGH in mehreren Urteilen festgelegt. Eine Maßnahme gleicher Wirkung ist jede Regelung, die geeignet ist, die Ausübung der Grundfreiheiten potentiell oder tatsächlich, unmittelbar oder mittelbar zu behindern (sogenannte Dassonville-Formel im „Cassis de Dijon“-Urteil). Allerdings ist diese Regelung sehr weit gefasst und daher hat der EuGH sie in weiteren Urteilen eingeschränkt und präzisiert. Demnach kommen mehrere Rechtfertigungsgründe in Betracht, z.B. Verbraucherschutz, Lauterkeit des Handelsverkehrs, Gesundheitsschutz, Umweltschutz, Gründe der öffentlichen Sittlichkeit, Sicherheit und Ordnung usw.

Kann sich ein Mitgliedsstaat darauf berufen, dass solche „zwingenden Gründe“ für die Aufrechterhaltung von „Maßnahmen gleicher Wirkung“ vorliegen, kann er trotzdem handeln, auch wenn dann die jeweilig einschlägigen Grundfreiheiten einschränkt werden. Voraussetzung ist jedoch, dass die Maßnahme „verhältnismäßig“ ist.