Großes Interesse am VW-Vergleich – ein Fehler?

Veröffentlicht am in Abgasskandal

Als Entschädigung für den Diesel-Abgasbetrug bietet VW seinen Kunden Vergleichszahlungen an: Wer sich mit dem Autokonzern einigt, bekommt das Geld ab Mai ausgezahlt. Das Interesse an dem Deal ist erstaunlich hoch: Eine Woche vor Ablauf der Entscheidungsfrist wollten 95 Prozent der Berechtigten den Vergleich mit dem Autobauer akzeptieren – das sind etwa 250.000 vom Abgasskandal betroffene VW-Kunden.

Der Großteil der 262.000 berechtigten Kunden haben sich für den Vergleich bei der Musterfeststellungsklage registrieren lassen, den VW und der Bundesverband der Verbraucherzentralen verhandelt haben. Das hatte Volkswagen Anfang der Woche in Wolfsburg mitgeteilt. Fertig geprüft seien schon 130.000 Vergleiche.

Frist für den Vergleich endet am 30. April

Update 20.04.2020: Frist für den VW Vergleich bis 30. April verlängert.

Betroffene VW-Kunden haben jetzt noch bis zum 30. April Zeit, sich für den Vergleich oder für eine Einzelklage zu entscheiden. Die Gelder werden vom 5. Mai an überwiesen. Innerhalb von zwölf Wochen sollen nach Angaben von VW alle Vergleichsberechtigten ihr Geld erhalten.

Je nach Alter und Modell des Fahrzeugs will Volkswagen den geprellten Kunden zwischen 1350 und 6257 Euro Entschädigung zahlen. Die Gesamt-Entschädigungssumme soll 830 Millionen Euro betragen. Aber welche Vorteile hat der Vergleich und welche Chancen würde eine individuelle Klage bieten?

Für wen lohnt sich das Vergleichsangebot?

Die Vorteile des Vergleichs liegen auf der Hand: Betroffene Kunden erhalten sofort Schadenersatzleistungen von VW und das Verfahren ist beendet. Was für den Vergleich spricht, ist also die Zeit: Ein gerichtliches Verfahren kann sich hinziehen und der Kläger müsste bei Erfolg sein Auto abgeben. Weil das Fahrzeug in der Zwischenzeit an Wert verloren haben dürfte, würde der Rückabwicklungsbetrag sinken.

Wer also sofort an Geld kommen will, sollte dem Vergleich zustimmen und sich mit der von VW angebotenen Entschädigungssumme begnügen. Das Vergleichsangebot kann sich auch lohnen, wenn das Auto günstig erworben und viel gefahren wurde. VW berücksichtigt für die Entschädigungszahlung nämlich nur das Modelljahr und den Fahrzeugtyp.

Bei Vergleich keine weiteren Klagen möglich

VW macht das Vergleichsangebot jedoch nicht ohne Grund. Wer die Entschädigungssumme im Zuge des Vergleichs annimmt, muss erklären, dass er auf weitere Klagen verzichtet. Das könnte ein Fehler sein, denn Experten erwarten in Kürze verbraucherfreundliche Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesgerichtshofs (BGH), aus denen sich für betrogene Dieselkunden weitaus höhere Schadensersatzansprüche ergeben könnten. Das bedeutet, dass viele vom Abgasskandal betroffene Dieselfahrer mit einer individuellen Klage gegen den VW-Konzern wahrscheinlich deutlich mehr Geld bekommen würden.

Bei einer erfolgreichen Klage auf Schadensersatz muss VW nämlich oft nicht nur den Kaufpreis erstatten – es besteht auch die Chance, zusätzlich vier Prozent Zinsen auf den gezahlten Kaufpreis seit Erwerb des Fahrzeugs zu erhalten. Im Gegenzug gibt der Kunde das Fahrzeug zurück und zahlt in der Regel eine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer.

Oberlandesgerichte sprechen Klägern Schadensersatz zu

Mittlerweile haben 20 von 24 Oberlandesgerichten den geschädigten Käufern im Abgasskandal Schadensersatz zugesprochen. Die Chancen, Schadensersatzansprüche gegen VW durchzusetzen, stehen also sehr gut.

Zwar ziehen die meisten Oberlandesgerichte zurzeit den Nutzungsvorteil vom gezahlten Kaufpreis ab, doch es gibt auch Gerichte, die dem Kläger den vollen Kaufpreis zusprechen. Einige Gerichte verurteilen die Autobauer sogar zur Zahlung von vier Prozent Zinsen seit der Kaufpreiszahlung, so zum Beispiel das OLG Köln mit Urteil vom 10. März 2020 – 4 U 219/19. Die Richter haben VW zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 23.983,55 Euro verurteilt. Nach dieser Rechtsprechung lohnt es sich für Betroffene also, die Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichtlich durchzusetzen.

EuGH und BGH fällen in Kürze Grundsatzentscheidungen

Der EuGH wird am 28. April über die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im VW-Motor EA 189 verhandeln und rechtsverbindlich entscheiden, ob eine Abschalteinrichtung, die den Abgasausstoß manipuliert, nach EU-Recht zulässig ist. Der EuGH könnte die verbaute Abschalteinrichtung für illegal halten, was Hardware-Nachrüstungen zur Folge hätte.

Am 5. Mai soll der BGH darüber entscheiden, ob ein Schadensersatzanspruch besteht und ob VW bei der Entschädigung eine Nutzungsgebühr abziehen darf. Die Entscheidung könnte die Position der Verbraucher erneut deutlich stärken. Allerdings kommt das Urteil erst nach dem 20. April, dem Stichtag für die Annahme des Vergleichs. Es ist sicher kein Zufall, dass VW die Frist für das Vergleichsangebot vor den BGH- und EuGH-Entscheidungen beendet.

Stimmen Sie dem VW-Vergleich nicht vorschnell zu!

Weil die Mehrheit der Oberlandesgerichte gegen Volkswagen entschieden und der BGH bereits klargestellt hat, dass er VW-Diesel für mangelhaft hält, sind viele weitere verbraucherfreundliche Urteile zu erwarten. Einzelklagen könnten dann noch lohnender sein. Wer jedoch dem Vergleich zustimmt, verzichtet auf weitere rechtliche Ansprüche gegen VW, selbst wenn EuGH und BGH Grundsatzentscheidungen zugunsten der VW-Kunden fällen.

Sind Sie vom VW-Abgasskandal betroffen und können sich nicht entscheiden, ob Sie das Vergleichsangebot annehmen sollen? Die Verbraucherrechtskanzlei VON RUEDEN berät und vertritt bundesweit Dieselfahrer gegen die Autohersteller und konnte schon zahlreiche verbraucherfreundliche Urteile erstreiten. Wir beraten Sie gern in einem kostenlosen Erstgespräch über Ihre Möglichkeiten! Sie erreichen uns telefonisch unter 030 / 200 590 770 oder per E-Mail an info@rueden.de.