Das Thema Verjährung im Diesel-Abgasskandal ist heftig umstritten. Während sich VW auf eine dreijährige Verjährung beruft, vertreten viele Gerichte die Rechtsauffassung, dass die Forderungen von Dieselkunden im Abgasskandal gegen VW noch nicht verjährt sind – manche Landgerichte gehen sogar von einer zehnjährigen Verjährungsfrist aus. Bei Verjährung aufgrund von § 199 BGB besteht nämlich oft noch ein Restschadensersatzanspruch nach § 852 BGB. Klagen sind demnach immer noch möglich.
Sind die Ansprüche im VW-Abgasskandal womöglich erst nach zehn Jahren verjährt? Mehrere Gerichte sind der Ansicht, dass eine vollständige Verjährung im VW-Abgasskandal erst nach zehn Jahren ab dem Kaufdatum eintritt. Diese Rechtsauffassung hatte erstmals das Amtsgericht Marburg vertreten (Az. 9 C 891/19). Das Landgericht Magdeburg schloss sich dieser Auslegung an: Betroffene Dieselkunden haben gegen VW einen deliktischen Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 BGB (Az.: 10 O 1856/19).
Verjährungsfrist hat noch nicht einmal begonnen
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte in seinem ersten VW-Urteil am 25. Mai 2020 einen grundsätzlichen Schadensersatzanspruch gegen VW festgestellt – allerdings nur für Fahrzeuge, die bis zum Bekanntwerden des Dieselskandals gekauft wurden. 2015 hatte VW den Abgasskandal mit einer Ad-hoc-Mitteilung publik gemacht. VW beharrt auf der dreijährigen Verjährungsfrist, die gegen Ende des Jahres beginnt, in dem das Tatereignis stattfand. Demnach wäre der Abgasbetrug bereits Ende 2018 verjährt.
Die meisten Gerichte gehen allerdings davon aus, dass Verbraucher erst 2016 über den Skandal informiert gewesen sein könnten – womit die Verjährung Ende 2019 eingetreten wäre. Das Landgericht Trier ging noch einen Schritt weiter: Es hatte mit Urteil vom 19. September 2019 entschieden, dass die Verjährungsfrist aufgrund der ungeklärten Rechtslage noch nicht einmal begonnen habe (Az.: 5 O 417/18). Dieser Argumentation folge auch das LG Duisburg und schob den Beginn der Verjährungsfrist weiter hinaus (Az.: 4 O 165/19). Das LG München entschied, dass erst das BGH-Urteil am 25. Mai 2020 Klarheit geschaffen habe (Az.: 1 O 1822/19).
Forderungen an VW auch bei Kauf nach 2015 nicht verjährt
Mit Urteil vom 7. August 2020 (Az.: 2-19 O 279/19) liegt eine aktuelle Entscheidung des LG Frankfurt am Main vor: Die Richter haben die Volkswagen AG zum Schadensersatz in Bezug auf den Motorentyp EA189 verurteilt, obwohl das Fahrzeug erst 2016 gekauft wurde. Die Begründung: „Der Beginn der Verjährung kann auf gar keinen Fall mit dem Ende des Jahres 2015 angesetzt werden, da zu diesem Zeitpunkt eine hinreichend aussichtsreiche Klage gegen die Beklagte als Hersteller noch nicht erhoben werden konnte.” Das bedeutet, dass Forderungen im Diesel-Abgasskandal gegen VW bezüglich des Motorentyps EA189 noch nicht verjährt sind.
Das Landgericht Krefeld hat am 19. August 2020 ein Urteil veröffentlicht, das sich auf den Kauf eines VW-Neuwagens im August 2016 bezieht – direkt beim Hersteller. Das Gericht verurteilt VW zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung. Die Begründung: Der Käufer habe fast ein Jahr nach Bekanntwerden des Abgasskandals davon ausgehen müssen, ein Fahrzeug ohne manipulierte Software zu erwerben. Zu diesem Zeitpunkt habe er erwarten können, dass die rechtlichen Vorgaben erfüllt seien. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit sei daher in diesem Fall klar gegeben (AZ 2 O 541/19).
Selbst wenn sich die Sichtweise der oben genannten Gerichte zum Beginn der Verjährungsfrist nicht durchsetzen sollte, hat sich jetzt noch eineweitere Türgeöffnet, um noch Ansprüche gegen VW geltend machen zu können: der Anspruch aus § 852 BGB. Dabei handelt es sich um einen deliktischen Schadensersatzanspruch. Demnach muss der von VW erschlichene finanzielle Vorteil an die Geschädigten zurückgegeben werden. Die Verjährung tritt dann frühestens nach zehn Jahren ab Kauf ein.
Amtsgericht Marburg: Verjährungsfrist beträgt 10 Jahre
Das Amtsgericht Marburg hatte am 16. Juni 2020 die zehnjährige Verjährungsfrist ins Spiel gebracht: „Die Beklagtenseite wird vom Gericht (…) darauf hingewiesen, dass die Einrede der Verjährung wohl ins Leere geht, da vorliegend nicht die Regelverjährung von 3 Jahren gemäß §§ 195, 199 BGB einschlägig sein dürfte, sondern die Verjährung gemäß § 852 BGB von 10 Jahren (vgl. BGH Urt. verkündet am 12.05.2016, I ZR48/15).“
Im BGB § 852 heißt es dazu: „Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Dieser Anspruch verjährt in zehn Jahren von seiner Entstehung an […].“
Demnach bietet § 852 BGB Verbrauchern die Möglichkeit, auch bei verjährten Schadensersatzansprüchen gegen VW noch entschädigt zu werden. Deshalb kann eine Klage auch noch 2020 und später erfolgreich sein.
Landgericht Magdeburg: Kaufpreis muss erstattet werden
Auch nach der Rechtsprechung des LG Magdeburg können sich vorsätzlich sittenwidrig geschädigte Fahrzeugkäufer auf die Vorschrift des § 852 BGB berufen. Danach verjährt der sogenannte Restschadenersatzanspruch erst in zehn Jahren von seiner Entstehung an. Allerdings kann auf der Grundlage dieser Vorschrift nur das verlangt werden, was der Schädiger tatsächlich erlangt hat. Die Vorschrift des § 852 BGB hilft Käufern gebrauchter Fahrzeuge daher nicht. Denn beim Erwerb eines gebrauchten Fahrzeugs fließt der Kaufpreis dem jeweiligen Verkäufer zu.
Anders ist das bei Kauf eines Neuwagens. Soweit das Fahrzeug unmittelbar vom Hersteller erworben wurde, dürfte die Herausgabepflicht nach § 852 BGB den gezahlten Kaufpreis umfassen. Erfolgte der Erwerb über einen Händler, so ist die Herausgabepflicht auf den Kaufpreis abzüglich der Händlermarge beschränkt.
§ 852 BGH öffnet Verbrauchern eine neue Tür
Die verbraucherfreundlichen Urteile verschiedener Gerichte zeigen: Betrogene Verbraucher können auch 2020 und später noch klagen. Wer sich sittenwidrig auf Kosten eines anderen bereichert, muss noch bis zu zehn Jahre danach den daraus gezogenen finanziellen Vorteil zurückzahlen. Nachdem der Bundesgerichtshof bereits deliktische Ansprüche zugesprochen hat, steht geschädigten Dieselkäufern grundsätzlich Schadensersatz zu. § 852 BGB eröffnet VW-Kunden einen Weg, selbst bei verjährten Schadensersatzansprüchen noch gemäß Restschadensersatzanspruch finanziell entschädigt zu werden.
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