Der BGH hat entschieden: Vier Grundsatzurteile im Abgasskandal

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat heute gleich vier wichtige Urteile zum VW-Abgasskandal verkündet. Mit diesen Entscheidungen sind die zentralen Fragen zu den Ansprüchen gegen den Autobauer höchstrichterlich geklärt. Die wichtigste Frage war, ob Volkswagen den Klägern auch dann Schadensersatz schuldet, wenn sie ihr Auto erst nach Bekanntwerden des Abgasbetrugs im Herbst 2015 gekauft haben. Der Ausgang dieser Entscheidung ist für etwa 10.000 offene Verfahren relevant.

In zwei weiteren Fällen ging es darum, ob VW Klägern zusätzlich zum Schadenersatz auch noch sogenannte Deliktszinsen schuldet. Außerdem musste der BGH klären, ob Vielfahrer, deren Auto die geschätzte Laufleistung überschritten hat, überhaupt noch Ansprüche haben.

VW grundsätzlich zu Schadensersatz verpflichtet

Am 25. Mai 2020 hatten die obersten Bundesrichter mit ihrem ersten Diesel-Urteil bereits zehntausenden VW-Klägern den Weg zu Entschädigungen im Abgasskandal geebnet. Sie entschieden, dass Volkswagen grundsätzlich Schadensersatz zahlen muss. Die Begründung für das bahnbrechenden Urteil: Durch die Betrugssoftware in der Motorsteuerung der Dieselfahrzeuge wurden die Kunden sittenwidrig geschädigt. Heute mussten noch wichtige Detailfragen geklärt werden.

Werden gefahrene Kilometer angerechnet?

Die Karlsruher Richter des VI. Zivilsenats entschieden heute, dass Vielfahrer unter Umständen leer ausgehen könnten. So könne es vorkommen, dass vom zu erstattenden Kaufpreis nach Anrechnung der zurückgelegten Kilometer nichts mehr übrigbleibt. Wer viel mit seinem VW mit manipuliertem Dieselmotor gefahren ist, könne auch weniger Schadensersatz verlangen, so die Richter. Der Schadensersatzanspruch werde durch die Nutzung des Fahrzeugs begrenzt. Diese Entscheidung betrifft nach Auskunft des Volkswagen-Konzerns nur vergleichsweise wenige ähnliche Fälle. Besitzer älterer Diesel hätten nur selten geklagt.

Muss VW Deliktszinsen zahlen?

Die Kläger berufen sich auf einen Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch, demzufolge Geschädigte unter Umständen vier Prozent Zinsen auf die Schadensersatzsumme verlangen können. Doch die Richter urteilten, dass der Konzern getäuschten Diesel-Käufern zwar Schadensersatz, aber keine sogenannten Deliktszinsen zahlen muss. Deliktszinsen werden in der Regel fällig, wenn jemand einem anderen eine Sache oder Geld entzieht – wie zum Beispiel bei einem Diebstahl.

Doch die obersten Zivilrichter sehen keinen Anlass, Klägern zusätzlich zum Schadensersatz Zinsen anzurechnen. Betroffene Dieselkunden hätten für den Kaufpreis ein voll nutzbares Fahrzeug erhalten, so der Vorsitzende Richter Stephan Seiters. Das habe den Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Geldes kompensiert.

Die wichtigste Frage: Waren die Kunden ausreichend informiert?

Der Kläger hatte im August 2016, etwa neun Monate nach Bekanntwerden des Diesel-Skandals einen gebrauchten VW Touran gekauft und verlangt jetzt Schadensersatz von Volkswagen. Er gab an, dass ihm trotz der offiziellen Adhoc-Mitteilung des Unternehmens im September 2015 und der Medienberichte über den Dieselskandal nicht klar war, dass sein Auto davon betroffen gewesen sei.

Die VW-Anwältin Martina van Wijngarden hielt dagegen: „Die Kunden selbst wurden informiert, auch die Vertragshändler und das Servicenetz von Volkswagen wurde informiert, so dass jeder Kunde aufgeklärt werden sollte.“ Was sagen die Richter dazu: Schuldet der VW-Konzern Klägern auch dann Schadenersatz, wenn das Auto erst nach Bekanntwerden des Abgasskandals im Herbst 2015 gekauft wurde?

Täuschung nicht mehr feststellbar

Die zentrale Frage lautete hier, ob VW zu diesem Zeitpunkt noch vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vorgeworfen werden kann. Diese wichtigste Entscheidung des Tages haben die BGH-Richter zum Schluss verkündet: Klägern, die ihr Auto nach Bekanntwerden des Abgasskandals im Herbst 2015 gekauft haben, steht kein Schadenersatz von VW zu. Der Konzern habe sein Verhalten ab diesem Zeitpunkt geändert, so der Vorsitzende Richter Stephan Seiters. Eine Täuschung und vorsätzliche sittenwidrige Schädigung von Käufern sei daher nicht mehr feststellbar.

Wesentliche Umstände, die zuvor für eine Täuschung sprachen, seien bereits im Herbst 2015 entfallen, so der Richter. Aufgrund der Ad-hoc-Mitteilung hätten Käufer nicht mehr damit rechnen können, dass die Abgastechnik den Vorgaben entspreche. Zwar habe VW erst unter Druck reagiert und hätte zur Aufklärung des Skandals möglicherweise mehr tun können. Doch das reiche für den gravierenden Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung nicht mehr aus. Das Urteil betrifft rund 10.000 noch offene Verfahren.

Jetzt auf Schadensersatz klagen!

Mit diesen Urteilen aus Karlsruhe ist ein großer Teil der Grundsatzfragen wegen der Betrugssoftware geklärt. Offen ist noch, wann die Ansprüche der Kläger verjähren. Diese aktuellen BGH-Entscheidungen ändern nichts daran, dass VW betrogenen Kunden grundsätzlich Schadensersatz für mangelhafte Dieselfahrzeuge schuldet.

Hinzu kommt, dass weitere BGH-Urteile im Abgasskandal ausstehen, die auch VW-Fahrer betreffen können. So wird Deutschlands oberstes Gericht Ende Oktober entscheiden, ob es sich bei einem Thermofenster um eine illegale Abschalteinrichtung handelt. Da das Thermofenster vermutlich auch bei Fahrzeugen mit dem VW-Motor EA 189 verbaut ist, wird dieses Urteil nicht nur für Mercedes-, sondern auch für VW-Fahrer interessant. Bei einer ähnlichen Entscheidung am Europäischen Gerichtshof (EuGH) zeichnet sich eine verbraucherfreundliche Einstellung ab: Die Generalanwältin des EuGH hat das Thermofenster bereits als unzulässig eingestuft. Das Urteil steht auch hier noch aus.

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