Der BGH verhandelt heute zum Thema Verjährung im VW-Abgasskandal – VON RUEDEN vertritt den Kläger

Veröffentlicht am in Abgasskandal

Der Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigt sich heute mit der Frage, ob vom Abgasskandal betroffenen Diesel-Käufern Schadensersatz von Volkswagen zusteht, wenn sie ihre Klage 2019 oder 2020 erhoben haben. Der Kläger wird von der Verbraucherrechtskanzlei VON RUEDEN vertreten. Die Richter müssen klären, ob dem Kläger wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung noch Schadensersatz zusteht oder ob sein Anspruch schon Ende 2018 verjährt ist (Az. VI ZR 739/20).

Die Vorinstanzen hatten in dem Fall unterschiedlich geurteilt: Das Landgericht (LG) Stuttgart gab der Klage statt, während das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart urteilte, dass die Verjährung für den 2013 gekauften VW Touran bereits eingetreten ist.

Der VW-Abgasskandal vor dem BGH

Im VW-Dieselskandal wurden vor dem BGH bereits Entscheidungen zu den Themen Haftung, Laufleistung, Nutzungsentschädigung, deliktischer Zins, Softwareupdate und Kauf ab 2015 getroffen. Jetzt ist noch die Frage nach der Verjährung des Schadens offen, den Verbraucher durch die Volkswagen AG erlitten haben: Wie lange kann VW für die vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung der Kunden haftbar gemacht werden?

Zum Thema Verjährung ist lange über die übliche dreijährige Verjährung diskutiert worden, deren Frist in der Regel Ende des Jahres zu laufen beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist. In der Regel gilt für Schadensersatzansprüche eine dreijährige Verjährungsfrist. Aber hat diese Frist für Kläger gegen die Volkswagen AG wirklich bereits Ende des Jahres 2015 begonnen?

Der Fall: VW Touran mit Motor EA189 nutzt Abschalteinrichtung

Der Kläger hatte im April 2013 einen VW Touran erworben, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet ist. Der Motor verfügte über eine Software, die erkennt, ob das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt, und dann in einen Stickoxid-optimierten Modus schaltet. Dadurch ergeben sich auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb.

Im Jahr 2015 erfuhr der Kläger, dass sein Fahrzeug vom Dieselskandal betroffen ist. Mit der im Jahr 2019 eingereichten Klage verlangte er gegen Rückgabe des Fahrzeugs den Kaufpreis für das Fahrzeug zuzüglich Zinsen. VW hält den Anspruch für verjährt. Mit Urteil vom 17. September 2019 (Az. 15 O 241/19) gab das Landgericht Stuttgart der Klage teilweise statt: Der Anspruch sei nicht verjährt.

Die Beklagte legte daraufhin Berufung ein und das OLG Stuttgart wies die Klage am 14. April 2020 ab – mit der Begründung der Verjährung des Schadensersatzanspruches (Az. 10 U 466/19). Weil der Kläger bereits im Jahr 2015 Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal erlangt habe, hätten die Voraussetzungen für eine Klageerhebung bereits im Jahr 2015 vorgelegen, so die Richter. Zu dem Zeitpunkt sei die Rechtslage nicht unsicher und zweifelhaft gewesen, sodass die Klageerhebung zumutbar gewesen sei.

VON RUEDEN: Noch keine Verjährung im VW-Abgasskandal

Die Verbraucherrechtskanzlei VON RUEDEN vertritt die Ansicht, dass Fahrzeughalter lange nicht wussten, welche Rechte sie im Abgasskandal haben. Deshalb konnte man ihnen nicht zutrauen, sofort Rechtsmittel einzulegen. „Da die Rechtslage lange unsicher war und in der Vergangenheit sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht Braunschweig im Abgasskandal gegen die Verbraucher entschieden hatten, war keine Rechtsverfolgung zumutbar. Wir gehen nun davon aus, dass der Bundesgerichtshof entscheiden wird, dass im VW-Abgasskandal noch keine Verjährung eingetreten ist“, so Rechtsanwalt Friedemann Höppner von der Kanzlei VON RUEDEN, der den Fall federführend betreut.

Die meisten Gerichte gehen davon aus, dass Verbraucher frühestens 2016 vom Dieselskandal informiert gewesen sein können. Damit wäre die Verjährung Ende 2019 eingetreten. Sowohl der BGH als auch das Oberlandesgericht Nürnberg sind der Ansicht, dass Kläger als Voraussetzung für den Verjährungsbeginn absehen können müssen, wer für den Betrug verantwortlich ist. Es muss klar sein, wie sich die Rechtslage darstellt und ob überhaupt Chancen bestehen, sich vor Gericht durchzusetzen.

Die verbraucherfreundliche Rechtsprechung hat erst 2019 eingesetzt und vom Bundesgerichtshof wurde VW erst am 25. Mai 2020 wegen arglistiger und sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB verurteilt. Wer genau für den Abgasskandal verantwortlich ist, steht bis heute nicht fest – nicht zuletzt, weil sich VW nicht an der Aufklärung beteiligt und interne Untersuchungsergebnisse geheim hält. Ob der BGH das Urteil heute noch fällt, ist offen. Laut VW ist der Ausgang für rund 9000 noch offene Verfahren entscheidend.

Update 14.12.2020: Die BGH-Richter haben sich am frühen Nachmittag vorläufig zur Verjährungsfrage positioniert: Sie halten den Anspruch auf Schadensersatz für Besitzer von VW-Dieselfahrzeugen mit dem Motor EA189 für verjährt. Die dreijährige Verjährungsfrist habe mit der Kenntnis des Dieselskandals im Herbst 2015 zu laufen begonnen. Die Frist war somit am 1. Januar 2019 beendet, so die Karlsruher Richter.

Ansprüche für Motor EA288 nicht verjährt

VW-Kunden können sich jedoch auch jetzt noch gegen den Betrug der Volkswagen AG wehren, wenn ihr Fahrzeug über einen anderen Motor als den EA189 verfügt. Der Motor EA288 ist zum Beispiel nicht von der Verjährung betroffen. Besitzer von Fahrzeugen mit diesem neueren VW-Motor können weiterhin klagen, weil die Manipulationen an weiteren VW-Motoren erst zu einem späteren Zeitpunkt bekannt wurden und die Verjährungsfrist später eingesetzt hat.

Wer sich für die Musterfeststellungsklage eingetragen hatte, hat auch für den VW-Dieselmotor EA189 noch Chancen, mit seiner Einzelklage Schadensersatz zugesprochen zu bekommen.

Deliktische Haftung greift weiterhin

Wer Anspruch auf deliktischen Schadensersatz nach § 852 BGB hat, kann ebenfalls noch gegen VW vorgehen. Ansprüche auf Schadensersatz nach § 852 BGB können nämlich frühestens nach zehn Jahren verjähren. Es geht in diesem Paragrafen um den sogenannten Restschadensersatzanspruch, demzufolge jemand, der sich sittenwidrig einen finanziellen Vorteil verschafft, diesen Vorteil wieder zurückgeben muss.

Softwareupdates möglicherweise illegal

Wenn der BGH die Softwareupdates im Februar 2021 als illegal einstuft, kann sich eine weitere Möglichkeit zur Durchsetzung von Verbraucherrechten ergeben. Dann wird es um die Rechtmäßigkeit der umstrittenen Softwareupdates gehen, die das Problem der mangelhaften Abgasreinigung lösen sollen. Wenn der BGH die Softwareupdates als illegal einstuft, startet die Verjährung neu – auch für den Motor EA189.