Abgasskandal: Alle BGH-Entscheidungen im Überblick

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Deutschlands oberstes Zivilgericht – der Bundesgerichthof (BGH) in Karlsruhe – beschäftigt sich bereits seit einiger Zeit mit dem Abgasskandal. Eine ganze Reihe an Urteilen und Beschlüssen hat der BGH bezüglich der Ansprüche der Verbraucher und der Haftbarkeit der deutschen Autohersteller bereits getroffen. Hier ein Überblick über alle Entscheidungen des BGH im Dieselskandal:

Verbraucher haben grundsätzlich Anspruch auf Schadensersatz im Abgasskandal

Im Mai 2020 beantwortete der BGH die zentralste Frage im Dieselskandal: Halter eines betroffenen Fahrzeugs haben grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch, für den die Autohersteller aufkommen müssen (Az. VI ZR 252/19). Die Käufer dürfen den Kaufvertrag rückabwickeln lassen – und erhalten damit den Kaufpreis zurück, wenn sie den manipulierten Wagen wieder abgeben. Die bereits gefahrenen Kilometer muss sich der Fahrzeughalter aber auf den Kaufpreis anrechnen lassen (Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 397/19). In dem konkreten Fall im Mai 2020 hatte das Gericht eine sittenwidrige vorsätzliche Täuschung nach § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aufseiten der Volkswagen AG festgestellt.

„Grundsätzlich“ bedeutet hier, dass es auch Ausnahmen gibt, in denen der Dieselfahrer keine Entschädigung erhält. Nach dem Grundsatzurteil vom Mai 2020 hat sich der BGH mit speziellen Fallkonstellationen im Abgasskandal beschäftigt:

Keine Deliktzinsen auf Kaufpreis

Der BGH stellte im Juli 2020 fest, dass VW den Kaufpreis des Fahrzeugs nicht noch rückwirkend verzinsen muss (Az. VI ZR 354/19). Das wäre eine „nicht gerechtfertigte Überkompensation“, da der Käufer ein nutzbares Fahrzeug erhalten habe, so die Richter in Karlsruhe.

Thermofenster im Softwareupdate nicht illegal

Im März 2021 erklärten die BGH-Richter in einem Beschluss, dass sich aus dem Thermofenster, das im Zuge des Softwareupdates im Abgasskandal auf die VW-Motorsteuerung aufgespielt wurde, kein Anspruch auf Schadensersatz ergibt (Az. VI ZR 889/20). Das Verhalten von Volkswagen sei hier nicht sittenwidrig – anders als bei der initialen Ausstattung der Dieselmotoren mit Abschalteinrichtungen, wie sie 2015 beim EA189 bekannt wurde.

Audi haftet nicht für VW-Motoren

In Audi-Fahrzeugen werden auch von VW entwickelte und produzierte Motoren verbaut. Dennoch hafte Audi für diese Dieselfahrzeuge nicht im Abgasskandal, erklärte das Gericht in Karlsruhe im März 2021 (Az. VI ZR 505/19). Die Verantwortung liege beim Mutter-Konzern Volkswagen – ein Mitwissen um die Manipulation bei den Audi-Mitarbeitern könne nicht nachgewiesen werden. Klagen betreffend der VW-Motoren EA189 und EA288 müssen daher gegen Volkswagen gerichtet werden.

Auch Ratenzahlungen müssen erstattet werden

Zur Rückabwicklung des Kaufvertrags gehört auch die Erstattung von Extrakosten – wie etwa Zinsen bei einer Ratenfinanzierung des Dieselautos, so die BGH-Richter im April 2021 (Az. VI ZR 274/20). Volkswagen muss den VW-Kunden im Zuge des Schadensersatzes so entschädigen, als hätte er das vom Abgasskandal betroffene Auto nie gekauft.

„Kleiner Schadensersatz“, wenn man das Auto behalten möchte

Bisher war üblich, dass dem Diesel-Käufer der Kaufpreis mit geringen Abzügen erstattet wird und er dafür das Fahrzeug wieder abgibt. Wer seinen Wagen aber behalten möchte, kann nun einen „kleinen Schadensersatz“ erhalten, so der BGH im Juli 2021 (Az. VI ZR 40/20). Der Autohersteller ersetzt dann den Minderwert – also das, was der Käufer ursprünglich zu viel für das vom Abgasskandal betroffene Dieselauto bezahlt hat. Wie dieser Minderwert genau berechnet wird, klärte der BGH allerdings nicht.

Verjährung der Ansprüche und Hemmung durch die Musterfeststellungsklage

Wer 2015 den Beginn des Abgasskandals verfolgte und trotzdem erst frühestens 2019 geklagt hat, hat keinen Anspruch auf Entschädigung mehr. Hier ist bereits die Verjährung eingetreten. Das entschied der BGH ebenfalls im Juli 2021 (Az. VI ZR 1118/20). Allerdings bedeutet die ausführliche Berichterstattung über den VW-Dieselskandal in den Medien nicht automatisch, dass Verbraucher Kenntnis von ihrer eigenen Betroffenheit hatten. Eine garantierte Hemmung der Verjährung trat aber mit Teilnahme an der Musterfeststellungklage (MFK) ein. Wer sich 2019 in das Klageregister zur MFK gegen VW eingetragen hat, konnte noch bis zum Oktober 2020 klagen.

Schadensersatz auch bei Verkauf des Fahrzeugs

Dieselfahrer, die ihr vom Abgasskandal betroffenes Fahrzeug bereits weiterverkauft haben, können trotzdem eine Entschädigung erhalten. Der BGH entschied im Juli 2021, dass der Schadensersatzanspruch auch dann weiter besteht (Az. VI ZR 533/20 und 575/20).

BGH-Entscheidungen mit Signalwirkung im Abgasskandal

Die Urteile und Beschlüsse des BGH haben eine starke Signalwirkung für alle anderen Instanzen. Dennoch bedeuten diese Urteile nicht, dass andere Gerichte genauso entscheiden müssen. Jedes Land- und Oberlandesgericht muss einen Fall im Abgasskandal individuell prüfen, kann aber als Entscheidungshilfe die Urteile des BGH heranziehen. Fällt eine Entscheidung zum Beispiel eines Verbrauchers für ihn nicht zufriedenstellend aus und ist eine Revision möglich, kann er sich an die nächsthöhere Instanz wenden: Nach dem Landgericht kommt das Oberlandesgericht und dann der BGH.

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