Deutsche Umwelthilfe wirft Verkehrsministerium Duldung von Abgasbetrug vor

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Über fünf Jahre nach Bekanntwerden des Abgasskandal sind noch Millionen schmutziger Diesel unterwegs – und die Politik schaut weg. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat festgestellt, dass manipulierte Dieselfahrzeuge den Stickoxid-Grenzwert um das bis zu 18-Fache überschreiten. Der CO2-Ausstoß von Plug-In-Hybriden von Daimler liegt sogar bei bis zu 440 Prozent über dem offiziell angegebenen Wert. Doch Verkehrsminister Scheuer schont die Autokonzerne und verzichtet auf amtliche Rückrufe, so die DUH.

Auf Europas Straßen fahren offenbar noch immer Millionen Dieselautos mit Abschalteinrichtungen, die nicht legal sein können. Und das, obwohl der Europäische Gerichtshof im Dezember 2020 entschieden hat, dass Autohersteller keine Abschalteinrichtungen nutzen dürfen, um die Abgaswerte im Testzyklus zu „optimieren“.

Deutsche Umwelthilfe: Andreas Scheuer schützt die Autokonzerne

Während sich die Gerichte mit Schadensersatzforderungen von tausenden Autokäufern wegen manipulierter Dieselfahrzeuge beschäftigen, hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) im Emissions-Kontroll-Institut (EKI) Abgasmessungen bei Dieselfahrzeugen im realen Straßenbetrieb durchgeführt. Das alarmierende Ergebnis: Bei zahlreichen Diesel-Pkw mit der Abgasnorm Euro 5 und Euro 6 steigen die Emissionen von Stickoxid (NOx) bei sinkender Außentemperatur extrem an.

Das bedeutet: Auch Fahrzeuge, die das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als „sauber“ eingestuft und deshalb nicht amtlich zurückgerufen hat, verfügen nachweislich über illegale Abschalteinrichtungen in der Abgasreinigung. „Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hält weiter seine schützende Hand über die mit den Regierungsparteien vielfältig verbundenen und diese zum Teil kontrollierenden Dieselkonzerne. Ich erwarte von einem Bundesverkehrsminister, dass er rechtskräftige Gerichtsurteile respektiert und umsetzt – sei es durch die Anordnung amtlicher Rückrufe zur Beseitigung jeglicher Betrugssoftware bei Dieselfahrzeugen oder durch die vollständige und ungeschwärzte Offenlegung der Dieselgate- und CO2-Betrugs-Akten“, so Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.

Autobauer nutzen temperaturgesteuerte Abschalteinrichtungen

Die vom DUH-Abgasinstitut EKI getesteten Diesel mit der Abgasnorm Euro 5 nutzen das System der Abgasrückführung zur Stickoxidminderung. Die untersuchten Euro-6-Modelle verwenden zudem einen Speicherkat oder einen SCR-Katalysator. Obwohl Fahrzeuge wie der Audi 5 3.0 TDI Sportback, der Land Rover Range Rover Evoque eD4 und der VW T5 2.0 TDI California die Grenzwerte massiv überschreiten, hält das KBA es nicht für erforderlich, die Fahrzeuge zurückzurufen. Auch bei VW-Dieselfahrzeugen mit dem Motor EA288 hat das EKI extrem hohe NOx-Emissionen festgestellt: Der untersuchte Skoda Octavia 1.6 TDI (Euro 6) überschreitet den Grenzwert im Durchschnitt um das 4,9-Fache. Ähnliche hohe Grenzüberschreitungen zeigte ein überprüfter VW Golf GTD 2.0 TDI ABT mit durchschnittlich 427 mg/km. Der EU-Grenzwert liegt bei 80 mg/km.

Auch bei den klimaschädlichen CO2-Emissionen gibt es laut DUH deutliche Überschreitungen der angegebenen Werte: Die Messungen zeigten Abweichungen von den Herstellerangaben von bis zu 48 Prozent und im „Sportmodus“ waren es sogar bis zu 61 Prozent. Beim Plug-In-Hybrid Mercedes E 300 ist die Abweichung besonders drastisch: Das Modell überschreitet mit leerem Akku den offiziellen CO2-Ausstoß von nur 36 g/km im Normalbetrieb um über 300 Prozent. Im „Sportmodus“ steigen die CO2-Emissionen noch einmal deutlich an und liegen dann bis zu 440 Prozent über dem offiziellen Wert.

DUH fordert wirksame Marktüberwachung

Die Ergebnisse zeigen laut DUH mehr als deutlich, dass im Zulassungsverfahren auch für das klimaschädliche CO2 Real-Messungen und eine wirksame Marktüberwachung dringend erforderlich sind. Axel Friedrich, der wissenschaftliche Leiter des EKI, verurteilt die Untätigkeit des KBA: „Wir erwarten, dass sich eine Behörde wie das Kraftfahrt-Bundesamt an europäisches Recht hält und diese Fahrzeuge in Ordnung bringt oder aus dem Verkehr zieht.“

Die Abgas-Untersuchung des EKI ergab auch, dass die Einhaltung des Grenzwerts im Realbetrieb ist durchaus möglich ist: Dieselfahrzeuge, die nach Euro 6d zugelassen sind, darunter ein Volvo V60 D3 und ein Mercedes E 300 de, zeigen, dass eine funktionierende Abgasreinigung technisch machbar ist. Die sauberste Lösung für manipulierte Euro-5- und Euro-6-Diesel wären Experten zufolge nicht die umstrittenen Softwareupdates, sondern Hardwarenachrüstungen – die allerdings mehrere Hundert Euro pro Fahrzeug kosten.

Auch ohne KBA-Rückruf: Dieselklagen lohnen sich

Das Bundesverkehrsministerium hat den Vorwurf der Untätigkeit laut der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zurückgewiesen. Doch der Abgasexperte Kai Borgeest sagt in einem SPIEGEL-Interview, dass er die DUH-Vorwürfe für plausibel hält. Die von der DUH gemessenen Anstiege bei niedrigen Temperaturen zeigten das typische Bild einer Abschalteinrichtung. Das Urteil des EuGH zum Thermofenster verbiete so ein Vorgehen, weil eine Abschalteinrichtung nur erlaubt ist, wenn sie akute Schäden a Motor verhindert. „Die Abgasreinigung abzuschalten, wenn es kälter wird, ist kein Motorschutz. Man kann gute Abgaswerte auch bei niedrigen Temperaturen erreichen, aber die dafür nötigen Systeme kosten mehr Geld“, so Borgeest. Das Ergebnis der DUH-Untersuchung überrascht den Abgasexperten jedoch nicht. Er wundert sich nur, dass bislang nur gegen VW und Daimler geklagt wird.

Weil das KBA für viele manipulierte Fahrzeuge keine Rückrufe erlässt und das Verkehrsministerium untätig zusieht, können betrogene Autokäufer nach Ansicht mancher Gerichte den Kauf nicht automatisch rückabwickeln und müssen den Herstellern arglistige Täuschung nachweisen. Das gelingt den Klägern zum Glück in immer mehr Fällen, sodass sich Dieselklagen auch ohne amtliche Rückrufe lohnen. Wer eine Dieselklage in Erwägung zieht, kann die kostenlose Erstberatung der Verbraucherrechtskanzlei VON RUEDEN nutzen. Unsere Abgasexperten sind gern für Sie da.